: Andreas Eichler: Ich bestreite entschieden
■ Der wegen Mordvorwurfs nach den Schüssen an der Startbahn West inhaftierte Andreas Eichler gibt eine Erklärung an den Bundesgerichtshof ab und richtet eine weitere Erklärung an die Frankfurter Linke
Am 2.Mai 1988 hat Andreas Eichler bei seinem Haftprüfungstermin gegenüber dem Haftrichter am Bundesgerichtshof die folgende Erklärung abgegeben: Die Bundesanwaltschaft (BAW) beschuldigt mich nach wie vor, am 2.11.1987 an der Startbahn West zwei Polizeibeamte ermordet zu haben und dies bei zwei weiteren versucht zu haben. Die BAW begründet ihren Tatverdacht mit dem Pistolenfund in meinem Rucksack sowie angeblichen Schmauchspuren. Sonst schweigt die BAW oder sie dementiert. Während dessen dreht sich das Vernehmungskarussell. Dabei werden die Leute mit angeblich richtigen Aussagen konfrontiert. Das sorgt zusätzlich für Gerüchte und Verunsicherung bei den Betroffenen und in der Öffentlichkeit. Fehler sind dazu da, daß sie korrigiert werden. Dies ist ein Schritt von mir in diese Richtung. Nachfolgend äußere ich mich zu meiner Vernehmung vom 26.1.1988. Eine Vernehmung, in der schwerwiegende Fehler enthalten sind. Fehler, die durch die Vernehmungssituation gefördert wurden, Fehler aber auch, die durch meine eigene psychische Verfassung zustandekamen. So hatte sich durch drei Monate strenger Einzelhaft bei mir ein blindes Mitteilungsbedürfnis gebildet. Das ging so weit, daß ich Dinge ausgesagt habe, die ganz und gar falsch waren. Außerdem waren die Vernehmungsbedingungen nicht regulär. Obwohl ich mehrmals betonte, keine Aussagen machen zu wollen, bzw. daß ich nichts zu sagen hätte, wurden mir trotzdem von verschiedenen Personen immer weiter Fragen gestellt. Mein Anwalt war zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend. In den sogenannten Pausen wurde mir zugeredet. Sinngemäß wurde gesagt: „Sie sehen doch, die Solidarität bröckelt ab - wenn Sie was sagen, so kann das zu Ihrem eigenen Vorteil sein.“ Drei Monate strenge Einzelhaft, Angst, angebliche Aussagen anderer, Verunsicherung und mangelndes Solidaritätsgefüge, aber auch der Hinweis, dies sei die letzte Gelegenheit, vor Anklageerhe bung Entlastendes zu sagen, haben mich in Aussagen hineingetrieben, die ich weder verantworten kann noch machen wollte. In einem Gefühl der Verlassenheit wurden von mir unrichtige Angaben gemacht. Ich will und kann Derartiges nicht stehenlassen, was schlichtweg falsch ist, oder wovon ich nicht hundertprozentig überzeugt bin. Auch wenn einzelne Passagen richtig sein mögen, ziehe ich meine Aussage vom 26.1.1988 insgesamt zurück und werde jenes Protokoll auch in Zukunft nicht unterschreiben. Ich bleibe bei meiner Einlassung, welche am 22.11.1987 protokolliert wurde. Darüberhinaus bin ich im Augenblick nicht bereit, weitere Aussagen zu machen. Erklärung an die Frankfurter Linke Ich fordere die BAW auf, endlich klar zu präzisieren, warum sie mich des Mordes und der „Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung“ beschuldigt. Die gefundene Pistole zu Hause in meinem Rucksack ist ebensowenig ein Beweis dafür, daß ich am 2.11. damit geschossen habe, wie ein Seitenschneider im Kofferraum meines Autos, womit angeblich der Zaun zu einem abgebrannten Umspannwerk zerschnitten worden sein soll. Ich bestreite noch einmal entschieden den Vorwurf der BAW, daß ich am 2.11. die tödlichen Schüsse abgefeuert hätte, daran beteiligt gewesen sei oder dies gar geplant habe. Scharfe Schüsse auf Menschen widersprechen meinem Verständnis von Auseinandersetzung und politischem Widerstand. Weiterhin ist festzustellen: Die letzten Wochen und Monate haben immer neue Fragen zum 2.11. und danach ausgelöst. Die BAWschweigt, und die Szene spekuliert. Gezielt gestreute Verdächtigungen und Vorladungen verunsichern Betroffene und Öffentlichkeit. Die Androhung des 129a soll zur Entsolidarisierung bei den Leuten in U–Haft und draußen beitragen. Mit Erfolg: Widerrufene und angebliche Aussagen werden mit Ausdauer gehandelt und mit öffentlichen Anschuldigungen beantwortet. Diese Art des Miteinanderumgehens sollte ein Ende haben! Solidarisches und offenes Verhalten tut not, auch wenn die persönliche Angst vieler Leute gerade für mich verständlich und nachempfindbar ist. Ich tue das Meinige, einiges richtigzustellen. Doch bin ich nicht bereit, Märtyrer zu sein für etwas, was ich nicht getan habe, und für jemanden, der ich nicht bin. Es gibt viel zu überdenken. Gerade für Leute, die sich selbst und andere belasten, nur um selbst (vorläufig) in Freiheit zu bleiben. Jemandem zusätzlich etwas anzuhängen, nur weil dieser sowieso schon im Knast sitzt, das halte ich für schlimm. Doch noch schlimmer ist es, wie Aussagen von Leuten zustande gebracht werden. Drei Beispiele: Ein Mann, der mit Frau und Tochter kurz vor dem Umzug in die neue Wohnung steht (...), wird dazu genötigt, sich und andere zu beschuldigen - nur so darf er (vorläufig) in Freiheit bleiben. Eine alleinstehende Frau, die sich um ihre Töchter kümmern muß, wird genötigt, sich und andere zu belasten. Damit erhält sie Haftverschonung. Eine hochschwangere Frau wird unter Androhung der Untersuchungshaft zu Aussagen genötigt, obwohl ein ärztliches Attest über ihre Vernehmungsunfähigkeit vorliegt. Unter solchen Umständen kam eine Anzahl falscher Aussagen zustande, welche die Anwendung des 129a erst ermöglichten. Vor lauter Angst davor, sich rechtfertigen zu müssen, hat man der BAW Material zu ihrem Organisationskonstrukt geliefert. Wenn von mir Solidarität erwartet wird, so darf ich das auch von Leuten erwarten, die mit Aussagen sich, mich und andere belasten. Noch ist es für jeden möglich, sich so zu verhalten, wie es die Solidarität gebietet. Ich nehme mich davon nicht aus. Ich mache niemandem einen Vorwurf, wenn aus persönlichen Zwängen irgendwelche Aussagen gemacht wurden. Ich hoffe allerdings, daß jeder seinen „Beitrag“ ebenfalls kritisch überprüft, mit dem das Konstrukt des 129a ermöglicht wurde! Andreas Eichler
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