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Archiv-Artikel

Andrea Fraser und Carol Bove untersuchen im Kunstverein den Kunstbetrieb und die 70er Jahre Institutionskritik als gefällige Markenware

Eröffnungen sind Rituale. Damit nicht nur die Besucher schwatzen, wird meist offiziell geredet – mal salbungsvoll, mal pädagogisch. Dass eine Rednerin sich dabei völlig entkleidet, ist eher selten. Doch genau mit jenem Reiz der Nacktheit, der gerne auch auf deutschen Landesbühnen eingesetzt wird, würzte Andrea Fraser die Eröffnungsperformance ihrer Retrospektive in Hamburg. Die theatralische Selbstentblößung war aber nicht lustvoll gemeint, sie zielte kritisch aufs Allgemeine: Sie sollte ganz moralisch zeigen, dass die rhetorischen Federn, die sich eröffnungsredende Kunstkenner an den Hut stecken, sie eigentlich nur in des Kaisers neuen Kleidern dastehen lassen.

Wo Kunstvermittlung als nacktes Grauen geoutet wird, sollte der Kritiker schweigen. Aber so leicht ist der wohl bekanntesten institutionskritischen Künstlerin nicht zu entwischen. Immerhin gibt es ja außer der auf Video und im Katalog dokumentierten Eröffnungsvorstellung noch eine materialreiche, leseintensive Retrospektive auf etwa 40 Arbeiten der letzten 19 Jahre. Da wird die Revolutionskunst Mexikos und ihre New Yorker Rezeption in Filmbilder umgesetzt und das brasilianische Sambafieber – etwas oberflächlich – dekonstruiert. Und die Werbestrategien der Museen werden durch Überdeutlichkeit ad absurdum geführt. Ob Mehrfachvideoprojektion oder Pinnwände voller Hintergrundmaterial, ob Plakatentwürfe oder Hörstücke: Der Kunst der 38-jährigen New Yorkerin liegen Methoden zugrunde, die auf die sozial und soziologisch begründeten Kunsterweiterungen der 70er Jahre zurückgehen. Schon damals war es ja gleichermaßen schwierig, überbordendem Sozialbezug wie entblößten KünstlerInnen zu entgehen.

Frasers Arbeit passt vorzüglich in das Programm des Kunstvereins. Dessen Direktor Yilmaz Dziewior hat ein besonderes Interesse an Systemreflexionen und Kontextverschiebungen. Bei aller impliziten Ironie ist der künstlerische Mehrwert von Kontextuntersuchungen allerdings begrenzt. Denn die Selbstbespiegelung des Kunstbetriebes bleibt, wie groß der Kreis der Interessierten auch sein mag, doch ein sehr spezielles Thema. Andrea Frasers gegen den Anschein keineswegs objektive gesellschaftswissenschaftliche Untersuchung eines Ausschnitts der Realität bleibt eine individuelle Form der Vergewisserung von Welt, die sich im Grunde nicht von der Produktion traditioneller Kunstwerke unterscheidet. Es braucht aber viel Zeit – und möglichst perfekte Englischkenntnisse –, sich mittels des im Kunstverein gebotenen Materials ein eigenes Bild zu machen.

Ein weniger theoretisches, gleichwohl auf differentes vorgefundenes Material aufgebautes Bild der Welt ist die zweite Ausstellung im selben Haus, die erste institutionelle Präsentation der jungen US-Amerikanerin Carol Bove. Die 1971 geborene, im kalifornischen Berkeley aufgewachsene Künstlerin sieht sich selbst als eine Archäologin der Hippie-Zeit und nennt in Anlehnung an einen Buchtitel von Maharishi Mahesh Yogi ihre Installation im Erdgeschossraum „The Science of Being and the Art of Living“. In modellhaften Ausschnitten stellt sie wie in einem lebensgroßen Puppenhaus Elemente zusammen, die ein komplettes Lebensgefühl spiegeln sollen: Regale und Tische voller Bücher wie Clockwork Orange und der Psychedelic Review, zeittypische Fadenbilder und Mandalas, auch Guru-Fotos und Pornobilder, Verweise auf I-Ging und Konzeptkunst.

Diese fast musealen Verdichtungen, ein Crossover von Flohmarkt und Kulturanthropologie, wie es ein amerikanischer Kritiker nannte, werden zusätzlich belebt durch Porträtzeichnungen von Frauen: künstlich verblichene Skizzen jenes unwiederbringlich vergangenen, männlich dominierten Idealbildes mädchenhafter Neugier auf Love-and-Peace-Träume, die allzu bald verloren gingen.

HAJO SCHIFF

Di–So 11–18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Kunstverein, Klosterwall 23; bis 9. November