Anders Leben: Theater wegen Hüttendorf
Das Staatstheater Hannover lädt Jugendliche ein, sich einen Staat nach eigenen Vorstellungen zu zimmern. Vorbild: die Republik Freies Wendland. Die CDU protestiert - sie vermisst den "Theatergedanken".
Das Bauholz ist noch nicht geliefert, die dunkelgrüne Fahne mit der Sonne ist noch nicht gehisst. Noch tagt kein Plenum auf dem Ballhofplatz. Und dennoch erregt die wohl politisch aktuellste Inszenierung des Staatstheaters Hannover bereits die Gemüter. Das Projekt "Hüttendorf" sei vor allem ein "Aufruf, dass künftig mehr Menschen gegen Atomkraftwerke demonstrieren sollen", empört sich Dirk Toepffer, Vorsitzender der CDU Hannover und im niedersächsischen Landtag stellvertretender Fraktionsvorsitzender seiner Partei. Das aber sei "weit entfernt von einer theateristischen Inszenierung". Soll heißen: Kein Thema fürs Theater.
"Republik Freies Wendland" heißt die Aktion des Jungen Schauspiels, benannt nach dem historischen Vorbild von 1980. Drei Wochen lang harrten damals AtomkraftgegnerInnen auf einer Waldbrandfläche unweit von Gorleben aus. Es ging darum, eine Tiefbohrung in den Salzstock zu verhindern. Und darum, eine andere Welt zu leben. Um Alternativen.
In der Reinszenierung, sagt Regisseur Florian Fiedler, sei genau dies wieder Thema: die "Suche nach der Utopie des Zusammenlebens". Selbstorganisation ist deshalb angesagt, wenn am Samstag das Sägen und Hämmern beginnt und aus Latten und Planen ein Dorf entsteht. Gekocht wird vor Ort, übernachtet im Theater.
Das Revival der Republik Freies Wendland auf dem Ballhofplatz in Hannover startet am Freitagabend. Hüttenbau mit Begleitprogramm bis 26. 9., Mitmachen auch stundenweise möglich. Workshops gibts unter anderem zu kreativen Aktions- und Protestformen. www.staatstheater-hannover.de
Auf der Großdemo "Atomkraft: Schluss jetzt!" am Samstag in Berlin werden Zehntausende das demonstrative Hinsetzen erproben. Die mehrminütige Aktion, ein Programmpunkt der Demo, soll einen kleinen Vorgeschmack auf kommende Proteste geben. Zur Demo fahren mehrere Hundert Busse aus etwa 200 Städten. Der Sonderzug "Nord" startet wegen Bauarbeiten erst in Lüneburg; aus Hamburg fährt stattdessen ein Buskonvoi.
Den nächsten Castor-Transport nach Gorleben stoppen will die Initiative "X-tausendmal quer". Sie hofft auf zahlreiche Beteiligung an einer großen gewaltfreien Sitzblockade im November.
Neben Inszenierungen und einer Kantate sind um die 30 Workshops geplant, darunter auch einige zu kreativen Aktions- und Protestformen. Banner malen, Straßentheater, vielleicht auch Sitzblockade. Eine Aktivistin wird sich mit Jürgen Trittin über "Ideale versus Realpolitik" streiten, abends gibt es Open-Air-Kino über Uranbergbau und Erneuerbare Energien, und die "Ton Steine Scherben Family" spielt zur Eröffnung am Samstag.
Jede Zensur liege ihm fern, unterstreicht Toepffer. Aber ein "auf Kosten des Landes" finanziertes Theater müsse auch gewissen Ansprüchen genügen. Provokation sei zwar "charmant". Beim Hüttendorf-Projekt müsse man sich aber fragen, worum es vorrangig gehe - "darum, Theater zu spielen, oder darum, Politik zu machen?" Ein staatliches Theater solle sich um Ersteres kümmern, findet Toepffer, der Wert auf die Feststellung legt, dass auch er inzwischen der Atomkraft kritisch gegenübersteht: "Die verschiedenen Sparten Komödie, Drama und Tragödie etc. bieten genügend Möglichkeiten, der Jugend kulturelles Wissen praktisch zu vermitteln." Unter diesen Voraussetzungen sei auch gegen ein Thema "Republik Freies Wendland" nichts einzuwenden. "Die Konzeption einer Gesellschaft aber ist kein Anliegen eines Theaters. Das ist eine politische Aufgabe", findet er.
Toepffer habe "keine Ahnung", hält Regisseur Fiedler dagegen. Die Auseinandersetzung um Demokratie und Politik sei eine "völlig normale Aufgabe von Theater". Auch andere sehen das so: Niedersächsisches Kulturministerium und Bundeskulturstiftung unterstützen das Theaterprojekt. Dass es im konkreten Fall auch um Atomkraft gehe, sei in erster Linie dem historischen Vorbild des Hüttendorfes zu verdanken, sagt Fiedler: "Dass Leute anschließend zur Demo gehen, ist nicht unser Ziel."
Dreißig SchülerInnen haben sich bereits angemeldet, für die neun Tage sind sie vom Unterricht befreit. Fiedler hofft auf weitere SpontanbesucherInnen.
Das Original-Hüttendorf walzten 1980 schließlich Polizei-Bulldozer nieder. Für die Hütten auf dem Ballhofplatz habe man kurz Ähnliches erwogen, erzählt Fiedler. Schließlich müssen auch sie wieder weg. Und die Demontage der Utopie, die Zerstörung des Liebgewonnenen, gehört mit zum Programm. Entschieden haben sich die Dramaturgen für eine kombinierte Aktion: Zu an die Wand projizierten Bildern der Räumung von 1980 werde man die neuen Hütten Stück für Stück ganz leise mit der Hand zerlegen und abtragen, kündigt Fiedler an. Wie im Theater eben.
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Bloß nicht zum Vorbild nehmen