: Andere Möglichkeiten
■ betr.: „Mehr Studiengebühren“, taz vom 26. 6. 95
Wissenschaftssenator Erhardt fordert „finanziellen Nachschlag“ für Studierende, die mehr als vier Semester überziehen. Na prima: Neben dem jährlichen „Nachschlag“ bei Mieten, BVG, Krankenkasse etc. bekommen die „ÜberzieherInnen“ so einen „finanziellen Anreiz“ mehr, des Morgens zu den Heinzelmännchen zu dackeln, um das „Arbeitslehre- Studium“ zu intensivieren. Bezogen auf das Studium der Soziologie (an der FU), das bei einer „Regelstudienzeit“ von acht Semestern in
der Regel eher 13, 14 Semester und länger dauert, wüßte ich Besseres: erstens: die Aufhebung des Zwangs in drei „Nebenfächern“ abzuschließen, von denen in Wirklichkeit stets zwei zu eigentlichen Hauptfächern mutieren, und statt dessen die Integration von Seminaren anderer Fachbereiche in ein Soziologie-Kompaktstudium. Das würde der Anonymisierung und Verzettelung (zwei wichtige Gründe für Studier- und Abschlußkrisen), besser entgegenarbeiten als zusätzliche „Subotniks“ als Heinzelmännchen. Zweitens: die Einrichtung von Orientierungs- und Motivationsseminaren für „Langzeitstudierende“; drittens: Möglichkeiten, im Sinne des angestrebten Berufs Geld zu verdienen. Das Land Berlin oder auch die Bundesregierung und die EU könnten zusammen mit der Universität und verschiedenen Institutionen der „Zivilgesellschaft“ zum Beispiel im ausreichenden Maße Forschungsaufträge an Studierende höherer Semester vergeben. Oder es könnten gesellschaftswis-
senschaftlich orientierte Uni-Zeitschriften eingerichtet werden, die in der Lage sind, für abgedruckte Beiträge ein anständiges Zeilenhonorar zu zahlen. Ähnliches gilt für die viel zu seltenen und in der Regel unbezahlten Praktikumplätze. Unter Anleitung könnten sich die Studis so für spätere Praxisfelder qualifizieren, hätten nicht mehr das Gefühl, nach einer eventuell bestandenen Prüfung als studierte TaxifahrerInnen enden zu müssen, und könnten sich gleichzeitig ihren Lebensunterhalt verdienen. Es mag für Herrn Erhardt bequemer sein, das Problem der überlangen Studiendauer (und die Verantwortung für deren Verursachung und Lösung) zu individualisieren. Aber möglicherweise besitzen viele „Langzeitstudis“ auch ganz spezielle Qualifikationen, die zu fördern sich für die Gesellschaft (angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit gegenüber einer Reihe ernster gesellschaftlicher Krisenentwicklungen) als lohnend herausstellen könnte. Hans-Hermann Hirschelmann
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