Anarchie in einem kleinen Dorf

■ Die Klein-BorstelerInnen kämpfen weiter für ihr Postamt Ein Disziplinarverfahren gegen die Post ist geplant

Wir befinden uns im Jahre 1993 nach Christi. Ganz Germanien wird vom Postmonopol beherrscht. Ganz Germanien? Nein! Ein von unbeugsamen GermanInnen bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Herrschern Widerstand zu leisten. Ort des Geschehens: Klein-Borstel. Seit Wochen wird in dem eher verschlafen wirkenden Stadtteil gegen die drohende Schließung des Postamtes in der Stübeheide gekämpft. .

Gestern traute sich die Post nicht einmal im Schutze morgendlicher Frühe, das Postamt Klein-Borstel zu räumen. Auch vor einer erneuten Verhandlung mit der PrOteST-Bewegung drückte sich Günter Gerlach von der Oberpostdirektion Hamburg. Stattdessen Unterstützung durch Wirtschaftssenator Hans-Jürgen Kropp (SPD): „Das Postamt Klein-Borstel dürfte nach den Kriterien der Post nicht geschlossen werden“.

Die Wege zu den Postämtern in Fuhlsbüttel und am Hummelsbütteler Weg findet Gisela Behrens, Seniorenbetreuerin, unzumutbar: „Gerade die alten Menschen müssen dann viele Treppen steigen oder sogar teure Bus- und Bahnfahrten in Kauf nehmen“. Gerade den langen Fußmarsch durch das Alstertal scheut man in Klein-Borstel. Mit sorgenvoller Miene erklärt Gisela Behrens: „Der Mord im Alstertal ist auch noch nicht aufgeklärt“. Wirtschaftliche Einbrüche der Kleinunternehmen befürchtet hingegen Peter Samuel, Malermeister: „Das ist der Anfang vom Ende, denn die Einwohner werden auf ihrer Fahrt zur Post bestimmt auch ihre Besorgungen in den Einkaufszentren machen“.

Doch bei der Oberpostdirektion Hamburg sieht man das nicht so dramatisch. Ihre Pressestelle teilte gestern mit, daß die Schließung der Postämter sogar von der Wirtschaftsbehörde überprüft worden sei.

Die Klein-BorstelerInnen wollen sich das allerdings nicht bieten lassen. Unter tosendem Beifall wurde das Postamt in eine Postagentur verwandelt: Der Briefmarkenverkauf lief auf Hochtouren, Pakete wurden angenommen und sogar KundInnen mit Geld versorgt - und das ohne die Post!

Demnächst will Klein-Borstel mit einem Disziplinarverfahren gegen Bundespostminister Wolfgang Bötsch für Krach in Bonn sorgen. Mit ihrem Engagement und ihrer Überzeugung steht die Protestbewegung somit ganz in der Tradition anarchistisch-revolutionärer Untergrundbewegungen in Klein-Borstel. Denn 1928 sorgten große Unruhen in diesem Stadtteil für die Einrichtung der ersten Poststelle.

juk