Analyse: Bitteres Eingeständnis
■ Die Vereinten Nationen sind mit ihrem Irak-Embargo gescheitert
Die Berichte aus dem Irak lassen erschaudern. Erst in der vergangenen Woche teilte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) zum wiederholten Male mit, das nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait 1990 verhängte Embargo habe verheerende Auswirkungen auf irakische Kinder. Jedes dritte Kind in dem Land sei chronisch unterernährt. Im Vergleich zu 1991 bedeute das eine Steigerung von 72 Prozent. Im Mai hatte die Caritas sogar berichtet, im Irak würden monatlich 4.000 Kinder an Unterernährung und dadurch verursachte Krankheiten sterben.
Wie realistisch diese Zahlen sind, ist nicht zu sagen. Die irakische Staatsführung läßt kaum ausländische Besucher in das Land, und wenn, dann nur in Begleitung und an ausgewählte Plätze. Dennoch ist eindeutig: Das Irak-Embargo trifft die Falschen. Während sich Saddam Hussein neue Paläste bauen läßt und das Militär es immer noch schafft, illegal Rüstungsgüter zu erwerben, leidet die Bevölkerung.
Aus diesem Zustand hat UN-Generalsekretär Kofi Annan nun erstmals Konsequenzen gezogen. Angesichts der Leiden der irakischen Bevölkerung forderte er den Weltsicherheitsrat auf, das Lebensmittelprogramm für den Irak auszuweiten. Das „Öl für Lebensmittel“ getaufte Programm erlaubt der irakischen Staatsführung, innerhalb von sechs Monaten Öl im Wert von zwei Milliarden US-Dollar zu exportieren. Zwei Drittel der Einnahmen sind für die Beschaffung von Nahrung und Medikamenten vorgesehen, mit dem übrigen Drittel müssen Reparaturzahlungen an das Invasionsopfer Kuwait beglichen und das UN-Waffeninspektionsprogramm finanziert werden. „Es besteht die dringende Notwendigkeit, das Risiko einer weiteren Verschlechterung einzudämmen“, sagte Annan am Montag abend vor dem Sicherheitsrat. Die Lebensmittelrationen, die im Irak verteilt würden, seien angesichts der chronischen Unterernährung zu klein. Die Worte bedeuten nichts anderes als ein bitteres Eingeständnis des Scheiterns der UNO im Irak.
Heute soll nun der Sicherheitsrat erneut beraten. Der Termin wäre ein angemessener Anlaß, die internationale Irak- Politik einer schonungslosen Revision zu unterziehen. Doch da stehen die Partikularinteressen der Mitgliedstaaten davor. Während vor allem Rußland und Frankreich möglichst bald wieder Handel mit den Herrschern in Bagdad treiben wollen – ungeachtet der katastrophalen Menschenrechtslage im Land –, pflegt die US-Regierung Saddam Hussein als Vorzeigeschurken. Angesichts dieser Konstellation kann es sich der Diktator erlauben, der UNO auf der Nase herumzutanzen. Eine grundlegende Veränderung der Haltung der UNO zum Irak wird es deshalb auch heute nicht geben. Für die Bevölkerung ist kaum Besserung in Sicht. Thomas Dreger
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