Analyse: Gefahr für die Region
■ Zur "Rettung der Demokratie" stürzt Nigeria Sierra Leone in den Krieg
Sierra Leone versinkt im Krieg. Die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der nigerianischen Interventionsstreitmacht haben auf die Hauptstadt Freetown übergegriffen. Tausende von Zivilisten sind auf der Flucht. Ein friedlicher Ausgang ist nicht abzusehen: Die Armee Nigerias, die sich groteskerweise „Friedenstruppe“ nennt, will Sierra Leones Militärjunta nach eigenen Worten „ausräuchern“ und „keinen Stein auf dem anderen lassen“.
Es geht in Sierra Leone um mehr als um nur einen obskuren Machtkampf zwischen bankrotten Despoten und mafiösen Milizen in einem der ärmsten Länder der Welt. Das rücksichtslose Eingreifen Nigerias ist eine Gefahr für den regionalen Frieden. Schon kämpfen ehemalige Buschkämpfer aus Liberia auf beiden Seiten in Sierra Leone mit. Es drohen regionale Komplikationen unabsehbaren Ausmaßes.
Sierra Leone ist ein Paradebeispiel dafür, wie das unreflektierte Anwenden völkerrechtlicher Prinzipien in die Katastrophe führt. Die herrschende Junta in Sierra Leone putschte sich im Mai 1997 an die Macht. Sie stürzte dabei eine Regierung, die zwar korrupt war und eine ethnische Spaltungspolitik betrieb, aber immerhin demokratisch gewählt war. Weil Militärputsche in Afrika angeblich nicht mehr toleriert werden – obwohl viele Beispiele, von Niger bis Kongo- Brazzaville, das Gegenteil beweisen –, forderte die internationale Gemeinschaft die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung. Weil Sierra Leone in Westafrika liegt, erklärte sich die dortige Regionalorganisation Ecowas dafür zuständig. Weil in der Ecowas Nigeria am mächtigsten ist, wurde Nigeria, regiert von einer der rückständigsten Militärdiktaturen der Welt, zur entscheidenden Macht bei der Wiederherstellung der Demokratie in Sierra Leone. Weil Nigeria in Sierra Leone die Demokratie retten soll, führt es gegen die dortige Regierung Krieg, bewaffnet Milizen, bombardiert Schiffe und Städte und stürzt das Land ins Chaos. Weil die Welt in Afrika nicht so genau hinguckt, entspricht all dies immer noch formal dem progressiven Prinzip, daß das Ausland Putsche nicht duldet.
In Wirklichkeit hat das Ziel Nigerias mit Demokratie nichts zu tun. Der gestürzte Präsident Sierra Leones soll von Gnaden nigerianischer Gewehre zurück an die Macht kommen. Danach hätte er eine Bringschuld gegenüber Nigeria, das wie andere Länder große Augen auf Sierra Leones reiche Bodenschätze wirft. Wenn – um das Unmögliche zu denken – die Demokratie in Sierra Leone auf friedlichem Wege wiederhergestellt werden sollte, hätte Nigerias Militärdiktatur in Zukunft dort herzlich wenig zu melden. Sie müßte vielmehr befürchten, daß auch sie bald dran sein könnte. Dominic Johnson
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