Analyse: Unruhe im Kulturstaat
■ Die Kulturdebatte weicht der Frage nach einer Nationalkultur noch aus
Es ist was faul im Kulturstaat Deutschland. Ging einstmals alle kulturelle Macht von den Ländern aus – und alle waren's zufrieden –, so ist der Ruf nach bundespolitischer Steuerungskompetenz seit einiger Zeit nicht mehr zu überhören. Angestoßen wurde die Frage vor Jahresfrist von Werner Knopp, dem kürzlich in den Ruhestand verabschiedeten Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Knopp hatte als letzte Amtsäußerung die Forderung nach einem Bundeskulturministerium in die Debatte geworfen. Der veränderte Kulturstandort Deutschland verlange nach einer neuen Verfassung kultureller Institutionen. Knopps Intervention war nicht zuletzt als Provokation gedacht. Wo die Länder vorwiegend über die Folgen des Finanzausgleichs verhandeln, sollte die Vorstellung von einer nationalen, zentralistischen Kulturpolitik die förderalen Kulturverwalter wachrütteln. Wie ist die Kulturnation im vereinten Europa künftig zu denken?
Weit mehr Regung unter Kulturpolitikern weckte dann freilich der Erlaß des Bundesfinanzministeriums, die eben erst mühsam von den Kulturinstitutionen akquirierten Sponsorengelder mit rund 40 Prozent zu besteuern. Wenn's um Geld geht, kommen Kulturpolitiker in Wallungen. Am großen Ganzen rührt man dagegen lieber nicht. In der gestrigen Kulturdebatte im Bundestag wich man der Frage nach einer neuen Verfassung nationaler Kultur eher aus. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Thierse forderte ein stärkeres Engagement des Bundes für die Kulturpolitik. Antje Vollmer (Grüne) setzt sich seit geraumer Zeit für eine steuerliche Sonderbehandlung gemeinnütziger Stiftungen ein. Innenminister Manfred Kanther (CDU) hat die Fortsetzung der Hauptstadt-Kulturförderung in Aussicht gestellt. Das sei nicht als Zusatzfinanzierung des Berliner Kultursenats zu verstehen. Es gehe vielmehr um die Förderung bedeutsamer kultureller Ereignisse in der Bundeshauptstadt. Business as usual in Bonn. An der kulturellen Länderhoheit will niemand ohne Not rühren.
Eine neue Verankerung der nationalen Kultur wird die Politik aber künftig noch beschäftigen. Die Europäische Union wird mittelfristig erhebliche kulturpolitische Kompetenzen erhalten. Einen Vorgeschmack darauf gibt schon jetzt die Diskussion um die Buchpreisbindung. Der deutschen Kulturpolitik mangelt es an einer funktionierenden Interessenvertretung. Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat verwies darauf, daß der Bundestag seit 1994 gar auf seinen Unterausschuß Kultur verzichtet. Der Ärger um den Sponsoringerlaß wäre durch die Existenz des Unterausschusses möglicherweise gar nicht erst entstanden. Das Nachdenken über Nationalkultur wird künftig wohl nicht nur die Sache konservativer Staatsphantasien sein. Harry Nutt
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