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■ An die Arbeit! (1) Alle sind für mehr Teilzeitjobs. Trotzdem kommt es nicht dazu. Denn Arbeit ist noch immer der zentrale WertDie letzte männliche Bastion

„Welchen Fortschritt?“ fragte Malcolm unwirsch. „Die Menschen, die vor 30.000 Jahren die Höhlenmalereien von Lascaux schufen, arbeiteten 20 Stunden pro Woche, um sich mit Nahrung, Kleidung und Unterkunft zu versorgen. Den Rest konnten sie tun, was sie wollten. Denken Sie mal darüber nach. 20 Stunden pro Woche. Vor 30.000 Jahren.“ (Michael Crichton, „Dino Park“, verfilmt als „Jurassic Park“)

Der Winter naht, und damit ist ab sofort eine neue Runde im traditionsreichen Wirtschaftsquiz eröffnet: Wie viele Arbeitslose werden es diesmal im Schlechtwettermonat Februar sein? Wird die Fünf-Millionen-Grenze übersprungen? Während die Bundesanstalt für Arbeit daran noch nicht glauben mag, ist genau dies die DGB-Prognose.

Sicher ist jedenfalls eine erneute Rekordarbeitslosigkeit, die ebenso sicher das alljährliche „hektische Zielgrübeln“ (Küppersbusch) auslösen wird. Dabei wird – wie jedes Jahr – im Gestrüpp der Wirtschaftskontroversen fast verborgen bleiben, daß es eine Idee gibt, die alle Tarif- und Politparteien uneingeschränkt unterstützen: die freiwillige Teilzeitarbeit. Sie würde etwa 1,4 Millionen Arbeitsplätze schaffen oder erhalten.

Diese politische Einmütigkeit ist bereits sensationell. Doch noch bemerkenswerter ist, daß die (Tarif-)Parteien selbst dann nichts bewirken, wenn sie sich ausnahmsweise einig sind. Der längere Hebel will eben nicht. Punkt. Stur und unauffällig verhindern die meisten Unternehmer, daß freiwillige Teilzeit in ihren Betrieben angeboten wird. Argumente interessieren nicht – selbst wenn sie von McKinsey stammen.

Schon 1994 publizierte die Unternehmensberatung eine Studie, die nicht oft genug zitiert werden kann: 60 Prozent aller deutschen Arbeitsplätze sind teilbar; schwierig wird es nur bei Führungspositionen und häufigem Kontakt zu Stammkunden. So unerwartet diese Festellung bereits war, interessant wurde sie, weil 38 Prozent aller vollerwerbstätigen Arbeitnehmer tatsächlich einen Teilzeitjob wollen – was nicht immer die saubere Halbierung bedeuten muß. Im Durchschnitt, so hat McKinsey ermittelt, wird eine Reduktion um 27 Prozent gewünscht.

Nun ist es natürlich so, daß nicht alle Teilzeitfreunde auch Arbeitsplätze innehaben, die teilbar sind. Die Schnittmenge beträgt gerade mal 25 Prozent. Trotzdem: Wenn dieses Viertel die Arbeitszeit um durchschnittlich 27 Prozent verringern dürfte, so könnten die schon genannten 1,4 Millionen Vollzeit- oder aber 1,9 Millionen Teilzeitstellen entstehen. Dies würde die öffentlichen Haushalte jährlich um etwa 28 Milliarden Mark entlasten.

Einfache Lösungen machen mißtrauisch. Vielleicht hält sich deswegen so hartnäckig das Gerücht, daß Teilzeitjobs für die Unternehmer „irgendwie“ teuer seien. Besonders die vielbeklagten Lohnnebenkosten werden als Verlustbringer verdächtigt. Irrtum. Da die Sozialabgaben proportional zum Einkommen erhoben werden, sinken sie entsprechend, wenn auf Arbeit verzichtet wird. Die Firmen würden sogar von der Teilzeit profitieren. Denn sie hätten motivierte Mitarbeiter, die sich flexibler einsetzen ließen. McKinseys Resümee: „Die Gesamtkosten an Personal und Kapital können um drei bis vier Prozent gesenkt werden.“

So sind alle wortreich für mehr Teilzeit: die Bundesregierung, die Gewerkschaften, sogar die Arbeitgeber. Zumindest auf dem Papier. Genutzt hat es nix. Die deutsche Teilzeitquote steigt nur unbedeutend: von 15 Prozent 1989 auf 19 Prozent 1996. Dieses Schneckentempo ist mit praktischen Problemen bei der Umsetzung nicht zu erklären, auch in Großunternehmen läßt sich, McKinsey zufolge, die freiwillige Teilzeit in nur sechs Monaten einführen.

Mann will eben nicht. Momentan sind 90 Prozent aller Teilzeitkräfte weiblich. Würde mehr Teilzeit praktiziert und gesellschaftlich anerkannt, wäre die letzte männliche Bastion gegen die Erwerbsinvasion der Frauen dahin. Noch ist Karriere an Vollerwerbstätigkeit gekoppelt, was die Konkurrentinnen praktischerweise oft früh ins Familienleben ausscheiden oder im Beruf in die ewige Zuarbeit hinabsinken läßt. Mann stelle sich das Gegenteil vor.

Dienende Mitarbeiter sind allerdings auch mit männlichem Geschlecht stets erfreuliche Selbstbestätigung für den Chef. Damit wär's bei der großflächigen Teilzeit ebenfalls vorbei. Statt kleinlicher Kontrolle wäre plötzlich Eigenverantwortung gefragt. Freiwillige Teilzeit revolutioniert die Unternehmenskultur. Das macht Angst, während arbeitslose Massen – wenn Chef mal ehrlich ist – nur Freude bereiten. Denn mit dieser „Reservearmee“ werden Regierung und Gewerkschaften erfolgreich erpreßt: Seit 1980 wuchsen die Nettogewinne der Unternehmen um 251 Prozent, die Nettoarbeitseinkommen stiegen aber nur um 63 Prozent.

Wir sind mitten in einem Klassen- und Verteilungskampf. Daß dies kaum wahrgenommen wird, hat den gleichen Grund, der auch die Teilzeitoffensive letztlich scheitern läßt. Im Kern: Der „faktische Tod der Arbeitsgesellschaft“ (Gorz) ist nicht verdaut. Wir können es nicht fassen, daß der Produktivitätsfortschritt demnächst Reichtum fast ohne Erwerbsarbeit ermöglicht. Wir glauben es nicht: Wenn die Arbeit ausgeht, muß doch Krise sein. Nur diese mentale Fehlverdrahtung macht begreiflich, warum das Vernünftige so schwer durchsetzbar ist.

Wie zentral Arbeit als Wert an sich ist, wird gerade am Rande deutlich. Nur Aidsinfizierte dürfen zugeben, sich an Freizeit und Freiheit zu freuen: „Endlich keine Verpflichtung mehr, Karriere zu machen“ schrieb neulich die Zeit. Solche Trostkaliber gehören zum festen Ritual der Aidsberichte. Der Kranke als Ausnahme und Projektionsfläche manifestiert die Norm: den Zwang zur Arbeit.

Niemand erspürt so treffsicher die deutsche Volksseele wie Kanzler Kohl, und so ist er auch ihr hoffnungslosestes Symbol. Ohne den Widerspruch zu bemerken, geißelt Kohl den „Freizeitpark Deutschland“ und will doch gleichzeitig eine „Teilzeitoffensive“ starten, um die Arbeitslosigkeit zu halbieren.

Dieses Kuddelmuddel der Werte und Emotionen verhindert auch eine naheliegende Idee. Wenn alle für die freiwillige Teilzeit sind, warum wird sie nicht gesetzlich vorgeschrieben? Genau dies ist übrigens gerade im niederländischen Parlament gescheitert. Selbst im Teilzeit-Vorbildland ist freiwillige Teilzeit letztlich nicht Konsens – sondern auch dort überwiegend weiblich. Ulrike Herrmann

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