An der FDP-Basis: Motzen gegen die Bubitruppe
Bei der "Zukunftswerkstatt" der FDP sollte das Programm diskutiert werden. Stattdessen spottet die Basis über die Parteispitze und beklagt den Verlust liberaler Themen.
BONN taz | Ernst Specht ist schließlich doch gekommen. Erst wollte er nicht, aber jetzt sitzt er hier in diesem roten Polstersessel in der Bonner Kunsthalle. Viel erwartet er nicht. Was soll das schon werden, wenn seine Partei über ihr Programm diskutiert? Hat die FDP nicht gerade ganz andere Probleme? Zum Beispiel, wie lange sie da in Berlin noch regiert? Als ob es dieser Tage nichts Wichtigeres gäbe, veranstaltet die Partei planmäßig ihre "Zukunftswerkstätten" genannte Programmdebatte. Ginge es nach Ernst Specht, würde hier über die Gegenwart geredet, die Krise der FDP.
In Bad Honnef, im schönen Rhein-Sieg-Kreis, wo Ernst Specht für die FDP-Fraktion im Stadtrat sitzt, machen sie seit Jahren eine gute Politik. Aber Specht, 65 Jahre alt und seit 1974 FDP-Mitglied, muss sich in letzter Zeit immer öfter die Häme der Leute gefallen lassen. Er will was bewegen im Jugendausschuss, aber wie soll das gehen, wenn die in der Regierung alles verbocken? "Wir können Stimmen für unsere Anliegen mobilisieren", erzählt Specht, "aber wenn der Bundestrend dagegensteht, halbiert sich das ganz schnell. In Berlin, da ist ein Zirkel, der hat keinen Kontakt mehr zur Basis."
Vorn auf dem Podium hat er sich an diesem Freitagabend versammelt, der "Zirkel": Generalsekretär Lindner ist nach Bonn gekommen, Johannes Vogel, der erst 29 Jahre alte arbeitsmarktpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Auch Alexander Graf Lambsdorff und Michael Theurer, beide Europaabgeordnete. Schließlich der Altliberale Burkhard Hirsch und NRW-Generalsekretär Joachim Stamp. Es gibt auch eine Frau. Eva Schmelmer von der FDP Bonn liest, was sie zu sagen hat, vom Blatt ab. In den Zuhörersesseln hat die Basis Platz genommen, 400 Leute sind gekommen, "jetzt sind fast alle Wähler der FDP da", scherzt Ernst Specht.
Höflich hört sich die Basis eine Stunde lang an, was die Programmkommission zu sagen hat. Lindner hält einen engagierten Vortrag über die Kernthemen der Liberalen. Freiheit, Ordnungspolitik, Bildung - alles gut und schön. Aber die Parteifreunde wollen motzen. Sie wollen wissen, was sie ihren Wählern antworten sollen, die fragen: "Was machen denn eure Leute da in Berlin?" Die den Bedeutungsverlust spüren, ja auch den Spott, die merken, wie ihnen politisch keiner mehr was zutraut. Zeit zum Zuhören soll sich der "Zirkel" nehmen, und das tut er auch. Ernst Specht ist ganz Ohr.
"Sowas ist unliberal"
Ein Kaufmann aus Willich steht auf, er schimpft, die FDP habe die Inhalte der Piratenpartei komplett verpennt, "und wir kriegen die Prügel, weil die in Berlin nichts kapieren". Ein Mann aus Bad Kreuznach ruft: "Wir haben ein Existenzproblem", er will, dass Irrtümer und Widersprüche offen auf den Tisch gelegt werden. Eine Kölnerin ruft: "Familienpolitik findet in dieser Partei überhaupt nicht mehr statt - hier sitzen ja auch fast nur Männer!" Ein junger Mann bringt das Thema Löhne aufs Tapet: "Ich bin nicht Mittelstand, ich bin Mittelschicht", ruft er mit kippender Stimme, "warum bin ich nicht Teil der liberalen Familie?"
Draußen ist es dunkel geworden, aber die Basis will noch nicht nach Hause. Es geht um Mindestlohn und Bürgergeld, ein verständliches Programm und Kitaplätze, Bildung für Erwachsene und Haftung für Vorstände. "Ich weiß doch, dass die Linken nicht recht haben!", ruft einer fast verzweifelt nach vorn. Der "Zirkel" versucht zu erklären und zu beschwichtigen. Er rechtfertigt nichts von dem, was in Berlin passiert.
Und irgendwann fällt auch der Name Rösler. Der, beschwert sich ein Mitglied aus Hagen, "sagt ständig: Hierzu gibt es keine Alternative. So was ist unliberal." Und ein Koblenzer meint: "Die Menschen haben ein extrem schlechtes FDP-Bild, wir sind die Steuersenkungspartei der Schönen, Reichen und Besserverdienenden. Sogar die Union führt uns vor als Bubitruppe." Es ist ein großes Klagen, ein Wutgeheul von Leuten, die - das spürt man - in der FDP sind, weil für sie die liberale Idee im Kern die beste ist. Freiheit im Denken, Freiheit im Handeln. Aber durch den Machtverlust im Bund werden die Grenzen des politischen Handelns zusehends enger.
"Überraschend offen"
Es ist zehn Uhr nachts, im Saal steht die Luft, die "Zukunftswerkstatt" geht zu Ende. Generalsekretär Lindner schaut zurück. Es sei ein guter Abend gewesen, versichert er und räumt ein: "Die Leute wollen das aus der Opposition geborene Pointierte nicht mehr von uns hören. Wir hatten nicht zu viel Staat, sondern den falschen Staat. Und wir wollen ihn wieder in die Balance bringen." Die Frage, ob und wie lange die Liberalen dazu noch Gelegenheit haben, kann er nicht beantworten.
Johannes Vogel, der einstige Chef der Jungliberalen, meint: "Es ging hoch her, das freut mich. So haben wir lange nicht miteinander geredet." Seine FDP hat jetzt sieben Monat Zeit, dann ist die nächsten Landtagswahl. Geht in Schleswig-Holstein die Regierungsbeteiligung verloren, sind die Folgen für die Bundespolitik dramatisch. Wie will die FDP bis dahin Wähler zurückgewinnen? "Indem wir zuerst eine gute Lösung für die EU-Schuldenkrise finden. Also mehr Europa, aber ein wirtschaftlich stabileres. Das heißt für uns nicht, wir vergemeinschaften die Verschuldung und erhöhen die Steuern, wie die Opposition das will. Das ist der erste Schritt, um bei den Bürgern wieder Vertrauen zu gewinnen." Nach Herzblut, also dem, was die FDP-Mitglieder an diesem Abend so offen ihrer Parteiführung gezeigt haben, klingt das nicht.
Ernst Specht, der FDP-Mann aus Bad Honnef, lächelt vorsichtig. "Das war überraschend offen, so von der Kritik her", freut er sich. "So was müsste parteiweit passieren, dass wir uns ehrliche Antworten geben. Und dann müsste es noch ein paar personelle Konsequenzen geben, schließlich die Neuaufstellung. Besser in der Opposition - dann rettet es die Partei", sprach er und machte sich auf den Weg nach Hause.
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