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An der FDP-BasisMotzen gegen die Bubitruppe

Bei der "Zukunftswerkstatt" der FDP sollte das Programm diskutiert werden. Stattdessen spottet die Basis über die Parteispitze und beklagt den Verlust liberaler Themen.

Haben gerade einen schweren Stand bei den einfachen Mitgliedern: FDP-Generalsekretär Christian Lindner (l.), Gesundheitsminister Daniel Bahr und Parteichef Philipp Rösler. Bild: imago/Christain Thiel

BONN taz | Ernst Specht ist schließlich doch gekommen. Erst wollte er nicht, aber jetzt sitzt er hier in diesem roten Polstersessel in der Bonner Kunsthalle. Viel erwartet er nicht. Was soll das schon werden, wenn seine Partei über ihr Programm diskutiert? Hat die FDP nicht gerade ganz andere Probleme? Zum Beispiel, wie lange sie da in Berlin noch regiert? Als ob es dieser Tage nichts Wichtigeres gäbe, veranstaltet die Partei planmäßig ihre "Zukunftswerkstätten" genannte Programmdebatte. Ginge es nach Ernst Specht, würde hier über die Gegenwart geredet, die Krise der FDP.

In Bad Honnef, im schönen Rhein-Sieg-Kreis, wo Ernst Specht für die FDP-Fraktion im Stadtrat sitzt, machen sie seit Jahren eine gute Politik. Aber Specht, 65 Jahre alt und seit 1974 FDP-Mitglied, muss sich in letzter Zeit immer öfter die Häme der Leute gefallen lassen. Er will was bewegen im Jugendausschuss, aber wie soll das gehen, wenn die in der Regierung alles verbocken? "Wir können Stimmen für unsere Anliegen mobilisieren", erzählt Specht, "aber wenn der Bundestrend dagegensteht, halbiert sich das ganz schnell. In Berlin, da ist ein Zirkel, der hat keinen Kontakt mehr zur Basis."

Vorn auf dem Podium hat er sich an diesem Freitagabend versammelt, der "Zirkel": Generalsekretär Lindner ist nach Bonn gekommen, Johannes Vogel, der erst 29 Jahre alte arbeitsmarktpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Auch Alexander Graf Lambsdorff und Michael Theurer, beide Europaabgeordnete. Schließlich der Altliberale Burkhard Hirsch und NRW-Generalsekretär Joachim Stamp. Es gibt auch eine Frau. Eva Schmelmer von der FDP Bonn liest, was sie zu sagen hat, vom Blatt ab. In den Zuhörersesseln hat die Basis Platz genommen, 400 Leute sind gekommen, "jetzt sind fast alle Wähler der FDP da", scherzt Ernst Specht.

Höflich hört sich die Basis eine Stunde lang an, was die Programmkommission zu sagen hat. Lindner hält einen engagierten Vortrag über die Kernthemen der Liberalen. Freiheit, Ordnungspolitik, Bildung - alles gut und schön. Aber die Parteifreunde wollen motzen. Sie wollen wissen, was sie ihren Wählern antworten sollen, die fragen: "Was machen denn eure Leute da in Berlin?" Die den Bedeutungsverlust spüren, ja auch den Spott, die merken, wie ihnen politisch keiner mehr was zutraut. Zeit zum Zuhören soll sich der "Zirkel" nehmen, und das tut er auch. Ernst Specht ist ganz Ohr.

"Sowas ist unliberal"

Ein Kaufmann aus Willich steht auf, er schimpft, die FDP habe die Inhalte der Piratenpartei komplett verpennt, "und wir kriegen die Prügel, weil die in Berlin nichts kapieren". Ein Mann aus Bad Kreuznach ruft: "Wir haben ein Existenzproblem", er will, dass Irrtümer und Widersprüche offen auf den Tisch gelegt werden. Eine Kölnerin ruft: "Familienpolitik findet in dieser Partei überhaupt nicht mehr statt - hier sitzen ja auch fast nur Männer!" Ein junger Mann bringt das Thema Löhne aufs Tapet: "Ich bin nicht Mittelstand, ich bin Mittelschicht", ruft er mit kippender Stimme, "warum bin ich nicht Teil der liberalen Familie?"

Draußen ist es dunkel geworden, aber die Basis will noch nicht nach Hause. Es geht um Mindestlohn und Bürgergeld, ein verständliches Programm und Kitaplätze, Bildung für Erwachsene und Haftung für Vorstände. "Ich weiß doch, dass die Linken nicht recht haben!", ruft einer fast verzweifelt nach vorn. Der "Zirkel" versucht zu erklären und zu beschwichtigen. Er rechtfertigt nichts von dem, was in Berlin passiert.

Und irgendwann fällt auch der Name Rösler. Der, beschwert sich ein Mitglied aus Hagen, "sagt ständig: Hierzu gibt es keine Alternative. So was ist unliberal." Und ein Koblenzer meint: "Die Menschen haben ein extrem schlechtes FDP-Bild, wir sind die Steuersenkungspartei der Schönen, Reichen und Besserverdienenden. Sogar die Union führt uns vor als Bubitruppe." Es ist ein großes Klagen, ein Wutgeheul von Leuten, die - das spürt man - in der FDP sind, weil für sie die liberale Idee im Kern die beste ist. Freiheit im Denken, Freiheit im Handeln. Aber durch den Machtverlust im Bund werden die Grenzen des politischen Handelns zusehends enger.

"Überraschend offen"

Es ist zehn Uhr nachts, im Saal steht die Luft, die "Zukunftswerkstatt" geht zu Ende. Generalsekretär Lindner schaut zurück. Es sei ein guter Abend gewesen, versichert er und räumt ein: "Die Leute wollen das aus der Opposition geborene Pointierte nicht mehr von uns hören. Wir hatten nicht zu viel Staat, sondern den falschen Staat. Und wir wollen ihn wieder in die Balance bringen." Die Frage, ob und wie lange die Liberalen dazu noch Gelegenheit haben, kann er nicht beantworten.

Johannes Vogel, der einstige Chef der Jungliberalen, meint: "Es ging hoch her, das freut mich. So haben wir lange nicht miteinander geredet." Seine FDP hat jetzt sieben Monat Zeit, dann ist die nächsten Landtagswahl. Geht in Schleswig-Holstein die Regierungsbeteiligung verloren, sind die Folgen für die Bundespolitik dramatisch. Wie will die FDP bis dahin Wähler zurückgewinnen? "Indem wir zuerst eine gute Lösung für die EU-Schuldenkrise finden. Also mehr Europa, aber ein wirtschaftlich stabileres. Das heißt für uns nicht, wir vergemeinschaften die Verschuldung und erhöhen die Steuern, wie die Opposition das will. Das ist der erste Schritt, um bei den Bürgern wieder Vertrauen zu gewinnen." Nach Herzblut, also dem, was die FDP-Mitglieder an diesem Abend so offen ihrer Parteiführung gezeigt haben, klingt das nicht.

Ernst Specht, der FDP-Mann aus Bad Honnef, lächelt vorsichtig. "Das war überraschend offen, so von der Kritik her", freut er sich. "So was müsste parteiweit passieren, dass wir uns ehrliche Antworten geben. Und dann müsste es noch ein paar personelle Konsequenzen geben, schließlich die Neuaufstellung. Besser in der Opposition - dann rettet es die Partei", sprach er und machte sich auf den Weg nach Hause.

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6 Kommentare

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  • J
    jens-frisch

    Die FDP ist nicht einmal marktradikal!

     

    Als vor einigen Monaten die erste DocMorris Apotheke (Kette aus NL) aufgemacht hat, war die FDP bereits im Gesundheitsministerium.

    Da aber Apotheker eine der Klienten der FDP überhaupt sind, wurden "Qualitätsdefizite" bei DocMorris vorhergesagt - sie mussten wieder schließen und damit blieben Medikamente in Deutschland die teuersten europaweit, obwohl die meisten Arzneien hier entwickelt werden.

     

    Also - Konkurrenz bei Billiglöhner, ja, bei ALLEN, außer bei ihrer eigenen Klientel - "unglaubwürdig" ist auf die die FDP gemünzt noch ein Euphemismus.

  • A
    argo

    @Manfred:

     

    der sogenannte "meisterzwang" ist in meinen Augen durchaus positiv! Ich weiss nicht, ob Sie je in einem Land gelebt haben, wo es diesen nicht gibt. Ich schon, mehrfach, und wenn es Reparaturen etc gab, und unglaublich viel Pfusch und Unvermoegen, da lernt man den "meisterzwang" wertzuschaetzen!

  • W
    Wüstenratte

    Bubi Rösler hat doch in Berlin die 18 geschafft, wenn es auch Promille sind. Bei Wahlen zählen Prozente, sollte ihm mal Einer sagen!!

  • M
    manfred

    Das lustige bzw. traurige an dieser Truppe ist ja gerade, dass sie gerade von Freiheit sowie von Wirtschaft keinen blassen Schimmer haben.

    Wenn die FDP nur ein wenig schlau wäre, so würden sie künstliche Marktzugangsbeschränkungen für Kleinbetriebe und Mittelständler abbauen, welche einst zur Oligopolisierung großer Konzerne und Alteingesessener gedacht wären. Dann würde wirtschaftlich und am Arbeitsmarkt ein Feuerwerk losgehen.

    Hier nur einige Beispiele:

    Durch eine EU-Richtlinie, namens WEEE, in Verbindung mit anderen Regularien, sowie der EMVU-Gesetzgebung, ist es in Deutschland -wegen vorgeschobenen angebl. Umweltschutzes- nicht möglich, neue Elektronik zu entwickeln, um sie dann zu vermarkten. Einzige Profiteure sind Großbetriebe, die die Fix- und Pauschalkosten in Großserien einpreisen können. Die "Daniel Düsentriebs" können die zigtausend Euro je Entwicklung nicht einpreisen, jedenfalls nicht zu Beginn ihrer Unternehmungen. So ist es gewollt.

    Nehmen wir an, jemand habe ein Gerät entwickelt, das er für 50,- Euro testweise über ebay anbieten möchte. Bis dahin müsste er aber zigtausend Euro aufwenden, nur um es (juristisch einwandfrei, also legal) probieren zu dürfen (und bei jeder Datailänderung noch einmal)!

    Über solche Verbrechen gegen die Freiheit und Gerechtigkeit wird in der FDP nicht einmal ansatzweise diskutiert.

    Oder nehmen wir die Verfolgung von ohne Meisterbrief im Handwerk selbständig arbeitenden Gesellen mit Bestnoten, die nur weil sie Haare schneiden (was sie über Jahre hinweg geübt haben), als Schwarzarbeiter verfolgt werden, obwohl sie jeden Cent versteuert haben, denn sie fallen wegen des Meisterzwangs automatisch unter Schwarzarbeit.

    Diese Bubis von der FDP haben schlicht keine Ahnung, worüber sie reden!

    Ihr seht, dass es in unserem Land von Missständen, die eigentlich den Kernthemen der FDP angehören sollten, nur so wimmelt.

    Wer hat -gegen die Freiheit- den durch die Aliierten nach dem zweiten Weltkrieg abgeschafften Meisterzwang wieder eingeführt?

    Da kommt Ihr nie drauf: Es war die FDP.

    Die FDP sind die reinen Hüter der Besitzstände der Superreichen (Anleger), nicht der "Leistungsträger", also z.B. der "Daniel Düsentriebs" oder der Jungunternehmer.

    Es kommt heute nur noch darauf an, wofür man Scheine hat, und wieviel Kapital vorhanden ist (nicht Kenntnisse, Fähigkeiten u. Fleiß).

  • K
    Klaus

    Rösler kann sich an die Spitze der Anti EURO Rettungsbewegung stellen. Tut er es nicht ist er weg

     

    1. Werden ihm die Mitglieder eine Klatsche geben.

     

    2. Werden im ihm die Wähler eine Klatsche geben.

     

    3. Es wird dann eine neue Partei geben, die den Job "macht". Das H.O. Henkel vor wenigen Tagen angekündigt

     

    Tut er es doch, dann er die CDU zur 15% Partei degradieren.

  • L
    Leisten

    Wenn ich Pirat wäre (was in vielen Ländern nicht jeder sein darf, wenn er morgen nicht entlassen werden oder keine Kunden mehr haben will) würde ich den Parteien die Zersetzung liefern: Eine Web/Phone/Pad-App wo die Basis demokratisch konstruktiv und sachlich diskutieren kann und Rösler genau ins Gesicht sagen kann, ohne Angst zu haben. Siehe Erwin Teufel neulich oder Gabriele Pauli.

     

    FOSSler reden oft gerne mehr als zu leisten.

     

    Nach dem vorerst "gescheiterten" Openleaks wäre das ein simples Projekt, die Demokratisierung in alle! Top-Down-Basta-Hierarchisten-Parteien zu bringen.