: An den germanistischen DDR-Germanen
■ betr.: "WahnSinn", Leserbrief von Andreas Kynast
betr.: „WahnSinn“, Leserbrief von Andreas Kynast,
taz vom 11.9.90
Wie Andreas empfinde auch ich das große I als störende Sprachdeformierung. Dennoch halte ich die patriarchalische Struktur unserer Sprache nicht für nebensächlich. Ich stelle mir die Lösung jedoch anders vor als unter anderem in der taz mittlerweile üblich.
Abgesehen von der Holprigkeit bleibt doch bei der Schreibweise „LeserInnen“ der patriarchalische Charakter erhalten, da die weibliche Form nur durch ein Anhängsel an die männliche zustandekommt. Eine Alternative könnte sein, die bisher männlich gebrauchten Formen im geschlechtsübergreifenden Sinn zu benutzen, mit unterschiedlichem Artikel. Das weibliche Gegenstück von „der Leser“ wäre dann nicht „die Leserin“, sondern „die Leser“, und das Problem der Pluralbildung wäre ebenfalls gelöst. [...] Klaus Blees, Trier
Frau merke auf! Andreas Kynast ist beileibe kein Gegner der Gleichberechtigung, aber bei der deutschen Sprache hört sie für ihn gleich schon wieder auf! Er nennt es eine Kulturrevolution (was übrigens ist daran schlecht?), daß wir Frauen auch in der Sprache ab und an berücksichtigt werden. Typ-isch!
[...] Außerdem ist das „Innen“ seiner Meinung nach eine völlig unsinnige Deformierung der deutschen Sprache! Dieser Mann ist beileibe (was für ein Wort!) ein Witzbold. Sollen wir uns jetzt noch schuldig fühlen, wenn unseretwegen (und zwar zu Recht!) die (ohnehin männliche) deutsche Sprache teilweise verändert wird? Welches Gesetz dieser Welt verbietet uns denn, die „über Jahrhundert gewachsenen Regeln“ der Sprache zu ändern (A.Kynast nennt es bezeichnenderweise „verbiegen“)? Brauchen wir regel- und gesetzgeilen Deutschen auch dafür ein Gesetz? Nee Mann, Du germanistische Perle, erzähl mir nicht, Du seist für Gleichberechtigung. Brigitte Breidenbach, Aachen
Daß ein DDR-mann=Mensch besonders seismographisch auf die nahende Kulturrevolution in linken Zeitungen reagiert, sollte nicht unbeachtet bleiben. Ausgelöst durch das große I, welches uns zum Beispiel bei „LeserInnen“ verdeutlichen soll, daß sich diese Spezies tatsächlich aus beiden Geschlechtern rekrutiert, fühlt DDR-mann sich berufen, auf die völlig unsinnige Deformierung unserer schönen, aber schweren deutschen Sprache hinzuweisen.
Regeln, die in 40 Jahren gewachsen sind, kann mann vielleicht so von einem auf den anderen Tag umschmeißen, aber Regeln, die nun mal Jahrhunderte alt sind, darf mann natürlich nicht einfach so verbiegen. Wie sagte schon uns Luther (geboren 1483) so schön und deutschlich: „Wiewol wenn Weiber wol bered sind, das ist an ihnen nicht zu loben, es stehet ihnen bas an das sie stammelen, und nicht wohl reden könnet, das zieret sie viel besser.“
Erstaunlich der Einwand, daß wir ja auch nicht die Geschichte umschreiben können, wenn sie uns nicht paßt. Ich finde da irrt DDR-mann. Ist es nicht eher so, daß linke JournalistInnen und FeministInnen ein jahrhundertealtes Werkzeug benutzen, um Realitäten zu schaffen: das Wort?! Inge Barth, Mülheim/Ruhr
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