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■ An Bosnien-Herzegowina wird Machtpolitik exekutiertDie Mauer von Sarajevo

In Berlin ist die Mauer gefallen, jetzt soll in Sarajevo eine neue Mauer errichtet werden. Vielleicht überrascht, daß dieses Ziel realisierbar ist, sogar den serbischen Nationalistenführer Radovan Karadžić, der ja schon vor dem Krieg offen für die Teilung der Stadt votierte. Was damals von einem seiner früheren Kollegen in der psychiatrischen Abteilung der Klinik von Sarajevo als Spinnerei eines etwas „verrückten Psychiaters“ abgetan werden konnte, scheint mit Hilfe der Weltdiplomatie verwirklicht zu werden. Die Menschen der Stadt scheinen nach sechzehn Monaten Belagerung mürbe genug geschossen zu sein, daß sie nun bereit sind, fast schon jeder „Lösung“ zuzustimmen. Die entwürdigende Besetzung der Stadt durch UNO-Truppen schließt die Entwaffnung der bosnischen Armee ein, während die serbische Gewehr bei Fuß in der Nähe bleiben darf. Weil auch die Kräfte der politischen Führung unter Alija Izetbegović schwinden, bleibt nur die resignative Erkenntnis, daß es im weltpolitischen Kräftespiel keinen Platz mehr für die „bosnische Idee“ des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen gibt.

Doch werden diese Zermürbung Bosniens und die unterlassene Hilfeleistung Europas auf Europa selbst negativ zurückschlagen. Erstens ist mit der Aufteilung des Landes rechtsradikale Politik wieder hoffähig geworden. Die Nationalisten aller Länder werden dies freudig zur Kenntnis nehmen. Konflikte um Territorien sind führbar geworden. Auch die Idee der „multikulturellen Gesellschaft“ in den hochindustrialisierten Ländern Europas hat einen Rückschlag erlitten. Und zweitens, was noch gewichtiger ist: Die Mauer in Sarajevo wird die Neugruppierung der Interessen in Europa symbolisieren. War Sarajevo schon Anlaß für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, so wird die Stadt am Ende dieses Jahrhunderts deutlich machen, daß die damaligen Kräftekonstellationen in Europa keineswegs überwunden sind.

Der furchtbare Verdacht, daß Bosnien geteilt wird, weil die britische, fanzösische und russische Politik mit der Unterstützung eines großen Serbiens den Einfluß Deutschlands in der Region „eindämmen“ will, hat sich ja längst verdichtet. Die Mauer in Sarajevo wird also nicht nur im Namen der serbischen und auch der kroatischen Nationalisten gezogen. Die Herabwürdigung der UNO besteht ja gerade darin, daß nationalstaatliche Politik im Rahmen der Weltorganisation durchgesetzt worden ist. Warum aber ein Mann wie Lord Owen im Auftrag der EG unbehindert so handeln konnte, wie er es tat, müßte auch in Bonn nachgefragt werden. Denn gerade dort müßte man ja verstehen, daß der Fall der Mauer in Berlin nicht zwangsläufig zur Errichtung der Mauer in Sarajevo führen mußte. Erich Rathfelder

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