Amtsenthebungen in der Türkei: Bürgermeister in Cizre abgesetzt
Am Dienstag wurde in Cizre der gewählte Bürgermeister Mehmet Zırığ abgesetzt. Cizre ist bereits die 13. HDP-Kommune, die unter Zwangsverwaltung gestellt wird.
Das türkische Innenministerium hat am Dienstagmorgen einen weiteren HDP-Bürgermeister im Südosten der Türkei abgesetzt und die Stadt Cizre in der Provinz Şırnak unter Zwangsverwaltung gestellt. Anstelle des Co-Bürgermeisters Mehmet Zırığ, der bei den Kommunalwahlen am 31. März mit 77 Prozent gewählt worden war, wurde der Şırnaker Bezirksgouverneur Davut Sinanoğlu als Zwangsverwalter eingesetzt.
Dem gewählten Co-Bürgermeister Zırığ wird in einer schriftlichen Erklärung des Gouvernements Şırnak unter anderem Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Terrorpropaganda vorgeworfen. Cizre ist bereits die 13. HDP-regierte Gemeinde, die seit den Kommunalwahlen im März von der AKP unter Zwangsverwaltung gestellt wurde.
„Heute ist der 96. Jahrestag der Gründung der Republik. Was für eine Ironie, dass der Wille des Volkes an einem Tag für nichtig erklärt wird, an dem die Souveränität des Volks ausgerufen wurde“, äußerte sich Zırığ gegenüber taz gazete. „Eine Regierung, die innen und außen bankrott gegangen ist, sagt zu den Menschen in Cizre: ‚Die Souveränität hat nicht bedingungslos das Volk, sondern ich.‘“
In Cizre fanden Protestkundgebungen gegen die Amtsenthebung des gewählten Bürgermeisters statt. Vor dem HDP-Parteigebäude versammelte sich eine Gruppe von Demonstrant*innen um Mehmet Zırığ, darunter die Abgeordneten der HDP Şırnak, Nuran İmir und Hasan Özgüneş, sowie die Co-Bürgermeisterin Berivan Kutlu. Die Polizei versuchte, die Demonstration aufzulösen und ging hart gegen die Parteimitglieder vor, die sich der Auflösung widersetzten.
Mehmet Zırığ und die HDP-Abgeordnete Nuran İmir wurden durch Schläge der mit Schlagstöcken und Schilden ausgerüsteten Polizisten verletzt. Zırığ sagte taz gazete, sie seien ins Krankenhaus gebracht worden, es gehe ihnen aber gut. Laut lokalen Medien ging die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstrant*innen vor, die in das Parteigebäude geflüchtet waren. Mindestens vier Personen wurden festgenommen. Journalist*innen, die die Ereignisse dokumentieren wollten, wurden ebenfalls von der Polizei blockiert.
13 Amtsenthebungen seit den Kommunalwahlen
Der HDP-Abgeordnete Hasan Özgüneş vermutet zwei Gründe für die Amtsenthebungen. Zum einen akzeptiere die Regierungskoalition aus AKP und MHP das Co-Vorsitzenden-System der HDP nicht. „Hier tritt ihre feindliche und allergische Haltung gegen Frauen offen zutage“, sagte er. Zudem räche sich die AKP mit den Amtsenthebungen für ihre herben Verluste bei den Kommunalwahlen am 31. März. „Sie wollen mit faschistischen Praktiken länger am Leben bleiben.“
Angesichts der inzwischen 13 unter Zwangsverwaltung gestellten Kommunen hält es der HDP-Vizepräsident für Lokalregierungen, Salim Kaplan, für denkbar, dass die AKP weitere gewählte Bürgermeister absetzt. „Vor den Wahlen haben sowohl der Präsident als auch der Innenminister gesagt: ‚Selbst wenn sie gewählt würden, würden wir sie entlassen.‘“, sagte er. Das heiße, die Regierung erkenne das Wahlrecht der Menschen in der Region nicht an, kritisierte Kaplan. „Für die kurdische Bevölkerung heißt das: Wir geben euch nicht das Recht, außerhalb der von der AKP festgelegten Grenzen zu leben.“
Auch der Vorsitzende der CHP Diyarbakır, Mehmet Sayın, kritisierte die Absetzung des Bürgermeisters in Cizre: „Wir haben immer gesagt und werden immer sagen, dass diese Praxis falsch ist. In einer Demokratie sollten diejenigen, die mit Wahlen gekommen sind, mit Wahlen wieder gehen.“
Mit Cizre hat sich die Anzahl der unter Zwangsverwaltung gestellten HDP-Kommunen auf 13 erhöht. Zuvor waren die Gemeinden Diyarbakır, Mardin, Van, Diyarbakır/Kulp, Erzurum/Karayazı, Hakkari, Hakkari/Yüksekova, Mardin/Nusaybin, Diyarbakır/Kayapınar, Bismil und Kocaköy, Van/Erciş unter Zwangsverwaltung gestellt worden.
Aus dem Türkischen von Elisabeth Kimmerle
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