Amerika verabschiedet sich: Neocons am Ende
US-Politikbeobachter sind sich einig: Die konservative Ära geht zu Ende, ein postpolarisierter Stil der Politik beginnt.
Noch zu Beginn diesen Jahres war die Simmung unter den US-Demokraten geradezu euphorisch. Barack Obama und Hillary Clinton hatten sich als die beiden Spitzenkandidaten der Partei für die Präsidentschaft heraus kristallisiert und das linksliberale Amerika konnte sich keine besseren Führungsfiguren wünschen, um die finstere Ära der konservativen Herrschaft im Land zu beenden. Doch je länger sich der Wahlkampf hin zog, desto mehr wich die Begeisterung der Sorge, dass die zunehmend boshafte Schlacht zwischen Clinton und Obama den Republikanern in die Hände spielt. "Wenn es so weiter geht", schrieb der demokratische New Yorker Gouverneur Mario Cuomo kürzlich im Boston Globe, "könnten sich die Vorwahlen von 2008 in eine schmerzlich vermasselte große Gelegenheit verwandeln."
Wenn man den Blick, so wie Cuomo, eng auf die Tagespolitik richtet, mag es tatsächlich so erscheinen, als würde das mitunter hässliche Gerangel um die Nominierung bei den Demokraten John McCain helfen. Politische Beobachter, die eine geringere Brennweite verwenden, halten solche Ängste jedoch für unbegründet. Die konservative Bewegung, seit vierzig Jahren eine machtvolle politische Kraft in Amerika, so glauben sie, hat endgültig ausgedient. "McCain kann nicht mehr auf die konservative Basis bauen", schrieb der Historiker Sean Wilentz in seinem Artikel "The End of the Age of Reagan" in der New Republic. "Sie existiert nicht mehr." Und George Packer diagnostizierte vergangene Woche in seinem Artikel "The Fall of Conservatism" im New Yorker: "Der konservative Organismus ist hirntot. Es gibt unter Republikanern keine Energie, kein frisches Denken, keine Fähigkeit mehr, die Gedanken und Gefühle der Menschen zu fesseln. Amerika steht vor dem Beginn eines neuen politischen Zeitalters." Wenn zu Beginn des kommenden Jahres Barack Obama also den Amtseid als 44. Präsident der USA spricht - und dafür spricht Einiges - dann wird das mehr sein, als nur ein simpler Regierungswechsel. Es wird einen Mitte-links-Ruck des gesamten Landes markieren, das sich lange Zeit von der konservativen Reaktion auf die Sechzigerjahre hatte nach rechts ziehen lassen. "Wenn man heute nicht aus dem tiefen Süden stammt, extrem reich ist oder ein wiedergeborener Christ, dann ist man kein Republikaner mehr", gab selbst der republikanische Wahlkampfstratege Ed Rollins gegenüber dem New Yorker zu. Die republikanische Partei ist auf ihren harten Kern zusammengeschrumpft.
Dabei ist das Ende der Amtszeit von George W. Bush nur der letzte Sargnagel für die konservative Bewegung. Der Niedergang des Konservatismus, darüber sind sich die Politanalysten, die seit Monaten das Ende der konservativen Ära in den USA besingen, einig, begann schon lange vor George Bush. Bush und seine neokonservativen Berater spielen im größeren historischen Zusammenhang, der jetzt immer deutlicher erkennbar wird, eine traurige Doppelrolle: Sie haben dem Konservatismus ein letztes großes Aufbäumen, einen letzten Triumph verschafft, waren aber zugleich seine Totengräber.
"Im Rückblick", schreibt George Packer im New Yorker, "war die Präsidentschaft von Ronald Reagan der Höhepunkt des amerikanischen Konservatismus. Nach Reagan und nach dem Ende des Kalten Krieges hatte die konservative Bewegung jene Bande verloren, die ihre Fraktionen zusammenhielt: Die Libertarier, die Evangelikalen, die Neokonservativen, die Wall Street und die traditionalistische Arbeiterschaft." Bush wäre schon 2000 gar nicht mehr gewählt worden, wäre er offen als der radikale Konservative angetreten, als der er sich später entpuppte. "Das Land bewegte sich damals bereits in eine ganz andere Richtung", schreibt Packer.
Deshalb positionierte sich Bush im Wahlkampf 2000 als "mitfühlender", gemäßigter Konservativer, nur um jedoch kurz darauf die Zügel Leuten wie seinem ultrakonservativen Vize Dick Cheney zu überlassen. Dass die Regierung Bush 2004 dennoch wiedergewählt wurde, hatte er, laut Sean Wilentz, allein dem Aufflackern des Patriotismus nach dem 11. September zu verdanken, den er und seine Strategen bis zum Ultimo ausschlachteten. Dennoch hat Bush seit seiner Wiederwahl die niedrigste Zustimmungsrate in der Bevölkerung, die je ein amerikanischer Präsident erdulden musste. Der amerikanische Konservatismus, so Packer, hat Dank Bush endgültig seine Relevanz verloren.
Amerika, schreibt Wilentz, stehe zwischen zwei politischen Zeitaltern - das eine sei mausetot, das andere noch nicht geboren. Wie das neue politische Amerika aussehen wird, wagt noch niemand voraus zu sagen. Aber ein Blick auf das präkonservative Amerika liefert zumindest Anhaltspunkte dafür, was aus dem Land wieder werden könnte. So beschreibt der Ökonom und New-York-Times-Kolumnist Paul Krugman in seinem Buch "Nach Bush - Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten" das Amerika, in dem er aufwuchs, als ein Amerika mit einer breiten Mitte - sozial, ökonomisch und auch politisch. Es war ein Amerika, in dem es einen weitreichenden Konsens über die Notwendigkeit von Sozialstaatlichkeit in der Tradition von Franklin D. Roosevelt gab, ein Amerika, in dem die Einkommen gleichmäßig verteilt waren und in dem die beiden Volksparteien konstruktiv zusammenarbeiteten.
Dann kamen die Sechzigerjahre und die Bürgerrechtsbewegung sowie die konservative Reaktion darauf, die laut Krugman vor allem darin bestand, zu polarisieren: Der neue Konservativismus habe seine ersten politischen Erfolge "dem Apell an kulturelle und sexuelle Ängste, dem Spiel mit der Furcht vor dem Kommunismus und der stillschweigenden Ausbeutung der weißen Gegenreaktion auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung" zu verdanken.
Doch all das scheint heute nicht mehr zu greifen. Amerika ist lange nicht mehr so puritanisch, rassistisch und homophob wie noch vor zwanzig Jahren und lasse sich auch nicht mehr, wie vorübergehend nach dem 11. September, irrationale Ängste vor vermeintlichen Feinden einjagen.
So sei es auch kein Zufall, sagte der desillusionierte konservative Journalist David Brooks dem New Yorker, "dass die Republikaner keinen Konservativen des alten Schlages" aufgestellt hätten, sondern mit McCain eine Figur, an der die Sechzigerjahre im Grunde vorbeigegangen seien. Wie auch Barack Obama verkörpere John McCain einen "postpolarisierten" Stil der Politik. Selbst ein Präsident McCain hätte kein Interesse, die abgestandenen amerikanischen Kulturkämpfe zwischen Liberalen und Konservativen weiter zu führen.
Die konservativen Ideologen sind angesichts dieser Entwicklungen unterdessen reichlich desorientiert. "Ich beneide William Buckley", sagte der Journalist und ehemalige Redenschreiber George Bushs, David Frum, dem New Yorker über den großen neokonservativen Vordenker. "Buckley war 25 am Anfang der Bewegung und 82 am Ende. Ich bin jetzt erst 47. Was soll denn aus mir werden?"
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