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Ambros Waibel Das bisschen HaushaltIgnoranz und Abstinenz sind Brüder im Geiste

Foto: Isabel Lott

Das ist die Jahreszeit für die nichts spricht. Die Sonne scheint nicht, und es schneit auch nicht.“ Muss man mehr als der Dichter über den November sagen? Was lässt sich tun, um der Misere zu begegnen? Kochen und essen und trinken natürlich. Dann aber kommt der Gesundheitscheck, und der Arzt spricht von einer „mitteleuropäische Wohlstandsleber“ und rät zu mehr Bewegung und Verzicht.

Joggen ist zwar langweilig, aber draußen sein doch immer belebend. Also laufe ich los, nicht schnell, nicht weit, gerade so lange, bis ich in Schwitzen komme. Mit den Hunden habe ich mich inzwischen arrangiert. Hunde sind wie Männer, die meisten wollen nur spielen. Als männlicher, weißer Jogger fühle ich mich einmal wie eine Frau auf dem nächtlichen Nachhauseweg, nur dass für Männer keine Leinenpflicht besteht. Aber Regeln und Pflichten sind ja in Berlin nur da, um missachtet zu werden (und sind wir nicht, als wir noch jung und überbordend waren, genau deswegen hierher gekommen, meine lieben gleichaltrigen Mitberliner:innen?).

Sie sehen schon: Was ich beim Laufen in der reizarmen Novembernatur genieße, ist, dass ich meinen Assoziationen ganz lange Leine geben kann. Und wenn ich ihrer überdrüssig werde, dann ziehe ich einfach das Tempo an, und das Hirn schaltet sich aus: Ein euphorischer Zustand, der in mir so etwas wie Neid auf diejenigen Mitmenschen aufkommen lässt, die ihr gesamtes Leben lang bewusstlos unterwegs sind. Wenn diese Sehnsucht nach dem Nichts stärker wird, renne ich sogar mal den Kreuzberg hoch, ein Kreuzweg eben, an dessen Ende ich geläutert bin und nach Hause spazieren darf. Oben habe ich noch meine Rückenübungen gemacht, denn zu sehen gibt es nichts. Berlin sieht aus, wie es von der amtierenden Großen Koalition gewollt ist: eine hässliche Provinzstadt, die aber autogerecht. Auf die Idee muss man in Zeiten, da in Autostädten wie Wolfsburg und Ingolstadt die Angst umgeht, wie Detroit zu enden, erst mal kommen.

Aber am Verzicht führt auf Dauer kein Weg vorbei. Ich interpretiere Dauer als weite bis mittlere Ferne, wie wir einst nach dem Skifahren auf der Hütte sangen: „Morgen, ja morgen, fang ich ein neues Leben an. Und wenn nicht morgen, dann übermorgen.“ Mein Arzt sieht das genauso. „Wir sehen uns im Februar wieder zur Lagebeurteilung, im November und über Weihnachten macht Abstinenz eh keinen Sinn.“ Nichts also mit Sober November, sondern erst Dry January! Damit kann ich sehr gut leben – jedenfalls jetzt.

Und dann wird es schon wieder dunkel. Ich tue, was zu tun ist, ich zünde Kerzen an und schäle meinen süßen Kleinen die heißen Maroni und die kalten Orangen. Draußen setze ich mich aufs Fahrrad, am Horizont, ganz im Westen schimmert noch Licht, rosig und hoffnungsvoll. Wenn ich weit nach Osten schauen könnte, würde ich die Raketen und das Drohnenfeuer des Putinschen Mörderstaates auf Kyjiw und Odessa niedergehen sehen. Menschen in Not kommen gar nicht erst auf den Gedanken, auf etwas verzichten zu wollen, sie brauchen im Gegenteil mehr, sie brauchen Hilfe.

Am Verzicht führt auf Dauer kein Weg vorbei. Ich inter­pretiere Dauer als weite Ferne

Und da muss ich an den Witz denken, wo der Bettler an der Tür der hochherrschaftlichen Villa klingelt: Die Dame des Hauses öffnet, unser Mann sagt: „Gnädige Frau, verzeihen Sie bitte die Störung – aber ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen.“ Worauf sie antwortet: „Aber lieber Freund – Sie müssen sich zwingen!“

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