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■ Am ersten Tag der Verhandlung über das neue Asylrecht vorm Bundesverfassungsgericht ist die umstrittene "Drittstaaten- regelung" unter Beschuß geraten. Aber Innenminister Kanther blieb hart: Ihm geht es um "Eindämmung" der Zuwanderung"St

Am ersten Tag der Verhandlung über das neue Asylrecht vorm Bundesverfassungsgericht ist die umstrittene „Drittstaaten-

regelung“ unter Beschuß geraten. Aber Innenminister Kanther blieb hart: Ihm geht es um „Eindämmung“ der Zuwanderung

„Stafettenlauf der Unverantwortlichkeit“

Die Flüchtlinge haben Angst. Nicht eineR der fünf AsylbewerberInnen, die Verfassungsbeschwerde gegen das neue Asylrecht erhoben haben, hatte es gewagt, zur zweitägigen mündlichen Verhandlung ihrer Klagen nach Karlsruhe zu kommen. Ihr Gesicht im Fernsehen, von den Botschaften ihrer Verfolgerländer auf Video aufgezeichnet – das wollte niemand riskieren. Denn noch ist völlig unsicher, ob sie in der Bundesrepublik bleiben können.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden stellen sie die tragenden Elemente des neuen Asylrechts in Frage: Drittstaatenregelung, Flughafenverfahren und die Ermächtigung, bei der Herkunft aus vermeintlich verfolgungsfreien Herkunftsstaaten das Asylverfahren auf ein Minimum zu reduzieren. Flüchtlinge, die über ein Land der EU eingereist waren oder aus einem anderen Staat, der per Gesetz als „sicherer Drittstaat“ definiert wurde, haben gar keine Chance, auch nur ihr Verfolgungsschicksal vorzubringen. Sie können sofort abgeschoben werden, oder, falls sie an der Grenze aufgegriffen werden, man läßt sie erst gar nicht ins Land.

„Es gibt Fälle, da würden die Antragsteller sofort Asyl bekommen, wenn man ihnen nicht das Verfahren von vornherein verwehren würde“, erregt sich der Klägeranwalt Rainer Hoffmann aus Aachen. „Selbst wenn die politische Verfolgung mit Händen zu greifen ist, heißt es jetzt, der ist über einen Drittstaat eingereist – also raus mit ihm.“ Die irakische Christin (siehe Beitrag unten), die über Griechenland eingereist war, ist eines der Opfer dieser Drittstaatenregelung. Geschützt wäre sie in Griechenland aber gerade nicht, vielmehr droht ihr in Griechenland die Abschiebung in den Verfolgerstaat.

Nach Ansicht Hoffmanns droht in Europa, wo auch andere Länder über derartige Drittstaatenregelungen verfügen, ein „Stafettenlauf der Unverantwortlichkeit“. Da Deutschland inzwischen von einem Gürtel vermeintlich sicherer Drittstaaten umgeben ist, können nur noch Flüchtlinge, die mit dem Flugzeug oder per Schiff einreisen, mit einem Asylverfahren rechnen.

Aber auch hier hat der Asylkompromiß von Union und SPD die Garantien stark reduziert. Kurzer Prozeß wird vor allem dann gemacht, wenn Flüchtlinge aus Ländern stammen, die auf einer per Gesetz erlassenen Liste „verfolgungsfreier Herkunftsstaaten“ stehen. Wann aber ist ein Staat verfolgungsfrei? Am Beispiel des Iran konnte Rainer Hoffmann zeigen, wie sehr derartige Einschätzungen durch die jeweilige nationale Brille gefiltert werden. 1993 betrug die Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus dem Iran in der Bundesrepublik gerade 0,3 Prozent. Im Nachbarland Frankreich waren es im gleichen Zeitraum aber immerhin 15 Prozent.

Dritter Hauptkritikpunkt ist die sogenannte Flughafenregelung. Hoffmann schilderte sie dem Gericht aus der Sicht eines Flüchtlings. „Da steigt jemand in Deutschland nach langer, entbehrungsreicher Flucht aus dem Flugzeug, übermüdet und verängstigt. Dann kommen Uniformierte, der Flüchtling wird in eine Zelle gesteckt, wird verhört, muß sich nackt ausziehen, wird wieder verhört. Ob dieses Verfahren der Wahrheitsfindung dient, bezweifle ich doch sehr.“ Hoffmann fürchtet, daß gerade der „klassische politisch Verfolgte“ in diesem Schockverfahren seine Rechte nicht mehr zur Geltung bringen kann.

Innenminister Kanther (CDU) ließ sich durch diese Schilderungen gestern nicht beeindrucken. Ihm geht es nach wie vor um eine „Eindämmung der kontinentalen Wanderungsbewegungen“, für die gerade Deutschland mit seiner langen Außengrenze eine besondere Verantwortung trage. Er warnte das Gericht ausdrücklich davor, einzelne Elemente aus dem Paket des Asylkompromisses herauszulösen: „So bräche auseinander, was zusammengehalten werden muß.“

Und dann folgte wieder die unsägliche Warnung, daß ein Erfolg für die Verfassungsbeschwerden Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten leiten würde, so als ob Kanther nicht genau dies jahrelang selbst getan hätte. Zwar versuchte der Innenminister gute Miene zum bösen Spiel zu machen, bezeichnete sich selbst als „Verfassungsminister“, dem der Rechtsstaat sehr am Herzen liege, und verwies auf die gestiegenen Anerkennungsquoten in den noch verbliebenen Asylverfahren: „Die Reform hat sich nicht zu Lasten der wirklich Asylberechtigten ausgewirkt.“ In der Sache aber blieben er und sein Rechtsvertreter, der Konstanzer Jura-Professor Kay Heilbronner, knallhart. Die Garantie von Einzelfallgerechtigkeit soll auf jeden Fall verhindert werden, weil dies die Verfahrensdauer verlängere und damit die „Attraktivität des Fluchtlandes Deutschland“ erhöhe. Zugeständnisse aufgrund der zahlreich vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken wurden keine gemacht. Ob die Karlsruher RichterInnen aber eine so rigorose Position absegnen werden, ist zu bezweifeln. Christian Rath, Karlsruhe

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