piwik no script img

Am Ostermontag wurde im spanischen Sevilla die Weltausstellung eröffnetExpo 92: Einweihung eines Provisoriums

■ Mit Friedenstauben und Feuerwerk wurde gestern in Sevilla die Weltausstellung eröffnet - während in verschiedenen...

Expo 92: Einweihung eines Provisoriums Mit Friedenstauben und Feuerwerk wurde gestern in Sevilla die Weltausstellung eröffnet — während in verschiedenen Ausstellungspavillons noch Fliesen verlegt wurden. Kritik am Mammutprojekt war von Anfang nicht erwünscht.

AUS SEVILLA ANTJE BAUER

Dies hier ist wunderbar, das ist wie im Märchen“, versichert der Mittfünfziger vor dem Eingang der Weltausstellung. Aus dem Norden Spaniens war er mit der ganzen Familie nach Sevilla gereist, um gestern die Eröffnung der langerwarteten Expo mitzuerleben. Bei frühsommerlichen Temperaturen standen Hunderte geladene Besucher an den Einlaßstellen Schlange — der große Ansturm wird erst heute erwartet, wenn die Expo dem Publikum geöffnet wird. König und Königin sowie ihre drei Kinder, auch Spaniens Regierungschef Felipe Gonzalez gaben sich die Ehre zur Einweihung, die mit einem Feuerwerk geräuschvoll begangen wurde. Brücken und Zufahrtstraßen zum Gelände waren von Militärs mit Maschinenpistolen besetzt, die Stadt versank in einem Verkehrschaos. Seit Tagen schon hatte das Prestigeobjekt Weltausstellung die spanischen Medien erfüllt, auf allen Autobussen in Sevilla kleben Aufforderungen, das Spektakel zu besuchen, das Radio bombardierte seine Hörer mit Expo- Werbung. „Spanien hat seine Aufgabe erfüllt“, hieß es während der Einweihung bombastisch.

Am Wochenende noch hatte die Insel inmitten des Guadalquivir- Flusses einem überdimensionierten Schrebergarten geglichen. In den dicht aneinandergereihten Gebäuden verlegten Tausende ausländische und spanische Arbeiter fieberhaft Fliesen und zerrten riesige Kartons in die Pavillons. Während am marokkanischen Schlößchen noch Mosaiksteine an die Fassade gesetzt wurden, schrubbten am deutschen Pavillon Arbeiter die facettenartigen Fenster. Auf den Straßen wurden eifrig Platten verlegt, und die Kabinenbahn drehte unermüdlich Proberunden. Die meisten Pavillons standen am Samstag noch leer, und selbst Expo-Kommissar Emilio Cassinello mußte auf einer Pressekonferenz zugeben, daß „einige Teile fertiger seien als andere“. Auch zahlreichen Bäumen und Büschen, die auf der Isla de la Cartuja gepflanzt worden waren, hatte man nicht genug Zeit gelassen, um sich zu Schattenspendern zu entwickeln. Eine „provisorische Expo“ nannte die Tageszeitung 'El Mundo‘ am Montag das beginnende Spektakel.

Weltausstellungen sollen immer ein wenig die wichtigsten Entwicklungen ihrer Zeit widerspiegeln. Nicht umsonst wurde auf einer Weltausstellung der Pariser Eiffelturm vorgestellt, waren Dampfmaschinen und später elektrisch betriebene Geräte Höhepunkte dieser Spektakel. Die Expo in Sevilla zum Thema „Zeitalter der Entdeckungen“, mit dem 500 Jahre der Entdeckung Amerikas gefeiert werden sollen, ist geprägt von Natur und Wasser. Von den Fassaden strömen Wasserrinnsale aus Düsen, farbige Wasserspiele und umrankte Wandelgänge bilden zwischen hochmodernen Bauten und Glasfaserkommunikation eine Welt aus High-Tech und Natur. Wie fragwürdig diese Zukunftsprojektion ist, zeigten die Proteste der Bürger der Nachbarprovinz Cadiz, die wegen des übermäßigen Wasserverbrauchs in Sevilla Restriktionen hinnehmen mußten. Neben Grünflächen und kleinen Seen wurde auf der bislang brachliegenden Insel eine intelligente Infrastruktur geschaffen, von der die spanische Regierung hofft, daß sie auch nach der Expo noch Unternehmen anziehen wird.

Auch diese schöne neue Welt zeigt bei genauerem Hinsehen jedoch Risse. Aus den verkohlten Resten des Holzpavillons der Südpazifikinseln, der am vergangenen Freitag abgebrannt war, wurden am Wochenende schwarze Palmstrünke in einen Lkw verladen. Der Brand dieses Pavillons — der vorläufig letzte von insgesamt fünf Bränden, von denen einer das Prestigeobjekt „Pavillon der Entdeckungen“ verwüstete — war angeblich auf die Unachtsamkeit eines englischen Schweißers zurückzuführen. An Pannen ist diese so hochgerühmte Expo reich — sie führen vom plötzlichen Sinken der Nachbildung eines der Kolumbusschiffe direkt nach seiner Einweihung bis zu dem wunderschönen Telefon der Dame am Dienstboteneingang, das seinen Dienst versagt. Daß nicht noch mehr schiefgegangen ist während der improvisierten und übereilten Vorbereitungen, grenzt schon fast an ein Wunder. Vom italienischen Pavillon berichteten Quellen, daß, während in den letzten Tagen noch der Fußboden verlegt wurde und Schweißer zugange waren, in einer Ecke Gemälde italienischer Klassiker lagerten.

Neben der für Spanien typischen Improvisation hatte die Angst vor ETA-Anschlägen die Vorbereitungen bestimmt. Alles Menschenmögliche sei getan worden, um ein terroristisches Attentat zu verhindern, hatte Emilio Cassinello auf einer Pressekonferenz kurz vor der Eröffnung erkärt. Zu diesem „Menschenmöglichen“ gehörte nach Angaben des Radios Antena auch ein fingierter terroristischer Angriff auf den japanischen Pavillon am vergangenen Donnerstag, über den weder das Außenministerium noch die japanischen Verantwortlichen im vorab informiert worden waren. Für die Sicherheit der Weltausstellung haften Polizei, Guardia Civil und das Militär. An Brücken und Expo-Zufahrten sind Sicherheitskräfte zu sehen, auf den Bahnhöfen patrouillieren sie, und auch in Sevilla selbst ist ihre Präsenz überall spürbar.

Die Sevillaner, anfangs eher skeptisch gegenüber dem geplanten Großereignis, scheinen es nun als willkommene Ausweitung der üblichen Festlichkeiten zu begrüßen und die urbanen Investitionen als unerwartetes Manna anzusehen. Die Preise, vor allem für Wohnungen, die in den vergangenen zwei Jahren in astronomische Höhen geklettert waren, sind zum Stillstand gekommen, und es besteht die Hoffnung, daß sie sich nach Beendigung der Weltausstellung wieder normalisieren. Auch der befürchtete Ansturm von Ausländern auf die Kleinstadt ist bislang ausgeblieben. Fünf Tage lang haben die Sevillaner, wie immer zu Ostern, ihre Christusse und Madonnen auf hohen Podesten durch die Stadt getragen, haben Sevilla mit dem süß-traurigen Klang der Orchester und dem Duft nach Weihrauch erfüllt, in kleinen Kneipen Sherry getrunken und kaum mal einen Blick auf die andere Seite des Guadalquivir geworfen, dort, wo die Vision einer modernen Welt in die Lüfte ragt. Sonntag morgen trugen zum letzten Mal in diesem Jahr die Costaleros einen wiederauferstandenen Christus durch die Straßen, schlurften Hunderte mit weißen, spitzen Kapuzen und Kerzen durch die schlafende Stadt. Montag begann die Expo — ein neues Fest, im Übergang zur Feria von Sevilla, die nächste Woche anläuft. Kommentar eines Sevillaners: „Hier wird alles aufgesogen, und danach bleibt alles gleich.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen