Am Nagel der Welt - Katar: Ein Goldstaub-Bad am Golf

Im Schönheitssalon wird auch Diversity-Management gepflegt. Denn die katarische Gesellschaft mit ihren 80 Prozent Ausländern ist eine kosmopolitische Klassengesellschaft.

Entspannt warten zahlungskräftige Kundinnen auf Grace' Schönheitsrituale Bild: Sylvie van Roey

Grace Salon ist dort, wo sich in Katar das Leben abspielt: in der derzeit beliebtesten aller katarischen Shoppingmalls. Villaggio heißt sie und soll, so die Idee, einem Dorf bei Venedig nachempfunden sein.

Künstlicher Himmel mit Schäfchenwolken, verschnörkelte Straßenlaternen, rosa und hellblaue Häuserfassaden. Grace findet das sehr gelungen. Sie kommt aus Bali und ist eine von über einer Million AusländerInnen, die hier in Katar sind, um mehr zu verdienen als zu Hause.

Nicht bei allen klappt das, aber Grace hat Glück gehabt. Oder besser gesagt: Disziplin. "Früher habe ich Fußnägel lackiert, Augenbrauen gezupft, alles. Heute mache ich hier das Management und die Massagen für unsere besten Kunden", erklärt Grace mit einer unverhohlenen Portion Stolz und stöckelt eilig zu ihrem Beauty Salon.

Das Medical Spa liegt direkt gegenüber von Villaggios Eislaufbahn. Im Sommer bei 50 Grad im Schatten Schlittschuh laufen zu können gilt in Katar als einer von vielen kleinen Triumphen über die Natur, die für das Land nicht viel anderes vorgesehen hat als Kamelherden und ein paar Dattelpalmen.

Auch im Salon selbst erinnert wenig daran, dass Grace auf der Arabischen Halbinsel arbeitet und nicht in Las Vegas. Ein paar Ornamente hier und da, doch Grace legt Wert darauf, dass "alle Produkte aus Paris kommen". Traditionelle arabische Schönheitsrituale wie Henna-Muster auf der Hand werden hier abgelöst vom Chocolat Scrub oder dem Oxygen Facial. "Aber der Trend des Sommers sind Slimming Treatments", erklärt Grace und zeigt auf ein paar Maschinen, deren Elektroden schlabbrige Oberschenkel straffen sollen.

Bild: Sylvie van Roey

Beim "Slimming" geht es darum, mit möglichst wenig Eigeninitiative möglichst viel abzunehmen - und damit entspricht es ziemlich genau dem Lebensstil am Persischen Golf. Finanziell gesehen ist der Aufwand allerdings recht erheblich: "Ich habe eine katarische Kundin, die kommt seit zwei Monaten jeden Tag für drei Stunden. Das sind 1.000 Rial am Tag." Pro Monat macht das umgerechnet 6.000 Euro.

Eine gute Figur kostet eben. Fettleibigkeit und Diabetes sind innerhalb der letzten zehn Jahre zur katarischen Volkskrankheit geworden. Sie sind der Preis jener Moderne, die Katar zur Schau stellt wie eine Trophäe. Dass das Land nicht nur reich, sondern auch ungesund geworden ist, kommt erst langsam in den Köpfen an. Amerikanisches Fastfood ist in der Zwischenzeit zur Nationalspeise geworden, Familienausflüge führen zu Kentucky Fried Chicken. Zur Fuß gehen ist verpönt - und mangels Gehsteig auch kaum möglich.

Staatsgründung: Unabhängigkeit von Großbritannien seit 1. September 1971, Katar lehnte den Anschluss an die Vereinigten Arabischen Emirate ab

Hauptstadt: Doha

Fläche: 11,437 Quadratkilometer, etwa halb so groß wie Hessen

Lage: Halbinsel im Persisch-Arabischen Golf, Landgrenze mit Saudi-Arabien

Einwohnerzahl: 1,6 Millionen, davon weniger als 20 Prozent Katarer, überwiegend Asiaten und andere Araber

Religion: Sunnitischer Islam ist Staatsreligion, größere Gemeinschaften von Christen und Hindus

Amtssprachen: Offiziell Arabisch, Geschäftssprache Englisch, Hindi und Urdu weit verbreitet

Staatsform: Emirat, autokratisch mit "beratender Versammlung"

Staatsoberhaupt: Hamad Bin Khalifa al-Thani, 1995 nach einem gewaltfreien Staatsstreich gegen seinen Vater an die Macht gekommen

Politische Parteien: Keine

Wirtschaftsform: Marktwirtschaft

Währung: Katarische Rial (QR), 5 Rial = 1 Euro

BIP pro Kopf: 103,500 US-Dollar, im weltweiten Vergleich landet Katar damit laut CIA Factbook auf Platz 2 (hinter Liechtenstein)

Export: Erdgas (drittgrößte Erdgasreserven der Welt)

Damit zahlungskräftige Kundinnen ihr Geld im Medical Spa gut angelegt sehen, hat Grace beschlossen, selbst ein Vorbild zu sein. Sie arbeitet sieben Tage die Woche, ist 24 Stunden am Tag erreichbar und sieht trotzdem aus wie aus dem Ei gepellt. "Ein gutes Aussehen ist eine Frage der Disziplin: Montags mache ich nach dem Aufstehen ein Meersalzbad, Dienstags eine Jogurtmaske, Mittwochs Stretching …" Grace präsentiert eine Liste, die man leider nicht schnell genug mitschreiben kann. Sie ist, wie soll man sagen, das Erfolgsmodell des emiratischen Traums. "Ich habe immer ein kleines Notebook bei mir. Darin schreibe ich auf, was ich am Tag geschafft habe. Jeden Tag will ich mehr schaffen als am Vortag. Und jede Woche mehr als in der vorherigen Woche." Ob ihr nicht doch manchmal alles zu viel ist, ob sie sich nicht aufregt über die Affenhitze im August, über den Verkehr und den Staub überall? "Nein, nie! Davon bekommt man Falten." Ach so. Na dann.

Grace hat im Medical Spa 25 Angestellte unter sich, die müssen mitziehen und sollen ebenfalls Vorbilder sein. "Jeden Monat checke ich ihr Gewicht. Ich sag ihnen: Wehe, ihr nehmt zu! Ich bring' euch um!" Grace lächelt ihr zauberhaftes Lächeln und fügt sicherheitshalber hinzu, dass ihr Team wie eine Familie sei. Es klingt ein bisschen wie aus einem amerikanischen Management-Ratgeber abgekupfert, aber sie besteht darauf: Sie seien alle wie Schwestern. Allerdings wohl eher wie kleine Schwestern. "Manche meiner Mädchen sind nicht glücklich mit ihrem Gehalt. Ich sag ihnen: Warum habt ihr den Vertrag unterschrieben, wenn es euch nicht passt?"

Grace findet, sie haben es gut getroffen. Schließlich landen die meisten Asiatinnen als Hausmädchen bei katarischen Familien. Ihr Reisepass wird ihnen abgenommen, viele dürfen nicht alleine aus der Wohnung, und wer Pech hat, wird im wahrsten Sinne des Wortes zum Mädchen für alles. Weil der Großteil der Hausmädchen von den Philippinen kommt, ist es für Grace wichtig, sich von den Filipinas möglichst deutlich sichtbar abzugrenzen. Dass sie aufgrund ihres Aussehens trotzdem regelmäßig für eine Filipina gehalten wird, ist für Grace eine Zumutung. "Ich sage dann nichts. Ich warte einfach, bis sie es kapieren. Irgendwann sagen sie dann: Oh, Sie haben ja studiert! Und dann hören sie auf, mich wie eine Filipina zu behandeln."

Die katarische Gesellschaft mit ihrer Ausländerquote von 80 Prozent bildet eine Art kosmopolitische Klassengesellschaft. An der Spitze der Pyramide stehen die Kataris, wobei auch die kein homogener Block sind. Kataris saudischer Herkunft stehen besser da als diejenigen persischer Herkunft und die wiederum besser als Kataris sudanesischer Herkunft. Nach dem kleinen, erlauchten Kreis von Kataris kommen die westlichen Ausländer, vor allem Briten und Amerikaner, dicht gefolgt von anderen Arabern. Danach kommt lange gar nichts. Im unteren Bereich der Pyramide sammeln sich Asiaten aller Art. Grace gehört in dieser unfreiwilligen Gemeinschaft zu so etwas wie der Elite. Einer Elite von Kellnern und Kosmetikverkäuferinnen, von all denen, die nicht dreckig werden bei der Arbeit. Ganz unten, irgendwie abgeschlagen, folgen dann die Filipinas. Und neben ihnen die riesige Gruppe der pakistanischen und nepalesischen Bauarbeiter, die Dohas moderne Skyline zu dem gemacht haben, wie sie heute strahlt.

Die Kundinnen des Medical Spa kümmert der Klassenkram wenig, sie freuen sich über billige Babysitter und den jederzeit abrufbereiten indischen Chauffeur. Damit ist auch klar, woher die meisten kommen: entweder aus dem Westen oder aus Katar selbst. Die Angestellten in Grace Team sind bunter zusammengewürfelt: Thailand, Burma, Südafrika, Libanon, Tunesien … Diversity-Management ist hier nicht bloß ein Modewort. "Wir stellen bewusst Ladys aus verschiedenen Ländern ein", erklärt Grace. "Ihre Hände sind einfach verschieden. Indonesierinnen haben starke, feste Hände. Thailänderinnen haben ganz sanfte. Für manche Massagen ist das gut. Aber für die Kataris, für die braucht man feste Hände."

Die Kundinnen kommen aus Katar oder aus dem Westen Bild: Sylvie van Roey

Apropos feste Hände: Vor einer katarischen Hochzeit ist der Schönheitssalon so wichtig wie die Familiengeschichte des Ehemanns. "Vor der Hochzeit" heißt: "Spätestens einen Monat vorher, sonst wird es knapp. Wir stellen einen Plan auf, damit man bis zum Termin gut aussieht. Man sollte dann aber auch jeden zweiten Tag kommen." Der genaue Plan richtet sich nach Bedarf und nach Budget, absolutes Minimum sind etwa 10.000 Rial (2.000 Euro). Am Tag vor der Hochzeit läuft der Salon dann auf Hochtouren.

Obligatorischer Anfang: Ganzkörper-Waxing. Alles weg? Alles, sagt Grace. Dann Hammam, damit die Haut weich wird. Dann Maniküre und Pediküre. Roter Nagellack, ganz wichtig. Und für den besonderen Touch: ein Goldstaub-Bad. "Dann glitzert die Haut schön in der Hochzeitsnacht", sagt Grace und tupft dem Pressebesuch ein bisschen Gold-Lotion auf die Hand. "24 Karat Gold ist das." Es schwimmt im Badewasser und verschwindet im Abfluss. Man könnte sich hier durchaus ein paar Analogien zu den Golfstaaten einfallen lassen, aber man will gar nicht weiterdenken: Was nach der Wirtschaftskrise mit den ganzen halbfertigen künstlichen Inseln, mit den Wolkenkratzern und den Eislaufbahnen werden soll, das weiß nur, wie hier üblich, Gott allein.

Zum Schluss landet die Braut im Bride Room. Dort steht ein rosa Himmelbett, es sieht aus wie ein Zimmer im Barbie-Haus der 80er-Jahre. Haare hochstecken, Lidschatten auswählen, Lippen lackieren, dann ist es geschafft.

Kommt die Braut aus Katar, muss Grace passen: "Die wollen so viel Make-up, ich kann das nicht", sagt sie und verdreht zum ersten Mal leicht die Augen. "Ansonsten mach ich aber alles."

Nur eines macht im Medical Spa keiner mehr: Botox spritzen. Es hört sich so an, als ob dabei zu viel schief gegangen ist. Das erscheint nachvollziehbar: Mit einer katarischen Diva möchte man sich selbst dann nicht anlegen, wenn ihre Gesichtsmuskulatur nur beschränkt einsatzfähig ist. Grace sowieso nicht.

Sie weiß, wo ihr Platz ist in dieser Gesellschaft. Aber sie weiß auch: Wenn sie nach Hause zurückkommt, wird sie ganz oben mitmischen. Heute Abend wird sie ihr elektronisches Notizbuch aufklappen und schreiben: Interview mit Journalistin gemacht. Gut geworden. Weiter so!

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