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Altkanzler präsentiert seine MemoirenThierse macht Kohl wieder munter

Eigentlich wollte der Exkanzler nur seine Memoiren vorstellen. Doch das Publikum interessierte vor allem: Verzeiht Helmut Kohl die Bemerkungen Wolfgang Thierses über seine Frau?

Entschuldigung angenommen: Helmut Kohl zeigte sich nicht nachtragend gegenüber Thierse. Bild: reuters

BERLIN taz Er ist, jeder kann es sehen, schlecht drauf. Sein kaputtes Knie macht ihm zu schaffen, er bewältigt sein Gewicht nicht mehr. Nur mit großer Mühe, auf Krücken gestützt, schafft es Helmut Kohl, die Bühne im Berliner Hotel Intercontinental zu erreichen. Aus dem patriarchalischsten Kanzler aller Zeiten, der Parteifeinde und andere Gegner früher auch durch seine physische Präsenz erdrückte, ist ein alter, schwacher Mann geworden. Ein Mann, dessen Erscheinung Mitleid weckt, der nichts mehr zu sagen hat. Oder vielleicht doch?

Er sei gekommen, um "den wohl spannendsten Abschnitt meiner Lebenserinnerungen" vorzustellen, sagt Kohl, um Interesse werbend, zur Begrüßung. Sein Vortragsstil passt dazu nicht. Kohl spricht leise, ohne Betonungen und Bewertungen liest er, scheinbar kraftlos, das Inhaltsverzeichnis vor. In seinem neuesten Erinnerungsband geht es um die Jahre von 1990 bis 1994, den Höhepunkt seiner Regierungszeit. Die Phase, in der Kohl zum "Kanzler der Einheit" wurde. Aber bei der Pressekonferenz zur Vorstellung von Band drei seiner Memoiren erinnert zunächst nur das überlebensgroße Fotoporträt hinter der Bühne an die einstige Übermacht des heute 77-jährigen Buchautoren.

Wirklich spannend finden die meisten Journalisten, jedenfalls die tagespolitisch orientierten Berichterstatter, ohnehin nur eine Frage: Wie wird Kohl auf die Äußerungen des amtierenden SPD-Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse reagieren, der sich zwei Tage vor Kohls Pressekonferenz über den Umgang des Exkanzlers mit seiner lichtempfindlichen Frau Hannelore ausgelassen hatte, die 2001 Selbstmord beging? "Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal", soll Thierse laut Leipziger Volkszeitung gesagt haben. Ein Zitat, dessen Entstehungsgeschichte umstritten ist - Thierse beteuert, sein Gespräch mit einem Redakteur sei verkürzt wiedergegeben worden, und er habe Kohl nicht kritisieren wollen. Trotzdem haben zahlreiche Unionspolitiker, inklusive der amtierenden Kanzlerin Angela Merkel, Empörung, ja Entsetzen bekundet. Wie sich Thierse über die Familientragödie Kohls geäußert habe, grenze an Niedertracht, ließ Merkel wissen. Manche CDU-Politiker forderten Thierses Rücktritt. Kohl selbst schwieg zwei Tage lang.

Aber natürlich hat er alles genauestens verfolgt. Kohl weiß, dass er jetzt gleich zu Thierse gefragt wird und dass es von seiner Antwort abhängt, wie lange der SPD-Politiker noch von der CDU getrieben werden kann. Nur er kann die Empörungswelle bremsen - und er tut es. Als ihm Peter Hahne, der Fernsehpfarrer des ZDF, die Vorlage gibt, spricht Kohl sein Urteil: Thierse habe sich entschuldigt, sagt er. "Und ich nehme diese Entschuldigung an. Zum Vorgang selbst will ich sonst nichts sagen."

Falls er sich getroffen fühlte von Thierses Worten über ihn und seine Frau, lässt es sich Kohl nicht anmerken. Er nutzt die Gelegenheit, um Größe zu beweisen. Ein sturer, alter Sack, der nicht verzeihen kann - so möchte Kohl nicht erscheinen. Es reicht ihm, dass sich Thierse zwei Tage lang rechtfertigen musste, dass er zwei Briefe an Kohl geschickt hat. "Ich bitte Sie sehr herzlich, diese meine Entschuldigung anzunehmen!", hatte sein Erzfeind von der SPD am Ende flehentlich geschrieben.

Kohl dürfte es Genugtuung bereitet haben, dass sich nach Thierses Äußerungen sogar SPD-Politiker auf seine Seite stellten. Fast vergessen scheint, dass er selbst kein Wort der Entschuldigung fand, nachdem er Thierse vor einigen Jahren als "schlimmsten Präsident seit Hermann Göring" bezeichnet hatte.

Kaum ist das Thema abgehakt, taut Kohl auf. Jetzt ist er gut drauf, lässt seine Erfolge von 1990 bis 1994 Revue passieren und lästert über alte Feinde. Wie die vom Spiegel. Dessen Vertreter fragt er, ob der nächste Chefredakteur wohl wieder eine "Giftspritze" sein werde? Austeilen, das kann Kohl noch. Auch mit Krücken.

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