: Alte bringen Wowereit auf Trab
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit stellt sich in einer Grundsatzrede das Berlin von 2050 vor. „Bunt und grau“ soll es zugehen, mit Kunsthalle, seniorengerechtem Wohnen und Rente mit 70
VON NINA APIN
„Berlin wird bunt und grau“. In diesen paradoxen Satz kleidete der Regierende Bürgermeister gestern seine Gedanken über den demografischen Wandel in der Hauptstadt. Bis zum Jahr 2050 solle Berlin eine „Stadt für alle Generationen“ werden: mit Krippenplätzen, Ganztagsschule und kultureller Bildung für die Jungen, einer Kunsthalle für alle, speziellen Wohnkonzepten und verbesserter Pflege für die Alten. Obwohl es schon 2020 doppelt so viele BerlinerInnen über 75 geben werde wie heute, prophezeite Wowereit der Hauptstadt eine Zukunft als „die stabile Metropole im Osten Deutschlands“. Eine „Silver City“ werde Berlin nie, da sie für junge Menschen aus der ganzen Welt attraktiv sei.
Die Rede zum demografischen Wandel, die Wowereit beim Stadtforum im Friedrichshainer Radialsystem hielt, war seine erste Grundsatzrede nach seiner Wiederwahl. Auch scheint es, dass Wowereit ein Thema gefunden hat, mit dem er bundespolitisch punkten kann. Die Gestaltung des demografischen Wandels wolle er in den Mittelpunkt seiner Politik stellen und nächstes Jahr ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept dazu vorlegen. Seine Visionen beschränkten sich dabei nicht nur auf Berlin, er streifte immer wieder auch bundespolitische Belange. So forderte er die Rente mit 70 – nach vorausgehender Halbtagsarbeit ab 60 – um vorhandenes Erfahrungswissen in der Wirtschaft zu bündeln. Auch mit seiner Forderung nach einer solidarischen Finanzierung der Pflegeversicherung, die alten Menschen unter anderem das Leben in alternativen Wohnformen möglich machen solle, begab sich Wowereit in größere Gefilde. In der bundesweiten Diskussion werde Berlin dazu gemeinsam mit anderen Ländern „klare Positionen beziehen“.
Wowereit bemühte sich zudem, das Altern positiv zu sehen. Von Überalterungspanik halte er wenig, sagte er. Und zeichnete sein Bild von einer solidarischen Stadt, in der sich das Wissen aktiver Senioren in einem erfüllten Ruhestand mit dem Potenzial der Jungen gegenseitig befruchtet. Dabei sprach er auch von der „riesigen Bildungsreserve“ junger Migranten, die es zu „heben“ gelte. Eine offenbar neu erwachte Liebe des Politikers, der erst im Januar äußerte, dass er sein Kind nie auf eine Kreuzberger Schule schicken würde.
Bei der umfangreichen Rede drängte sich der Verdacht auf, dass es Wowereit vor allem um seine eigene Zukunft geht. Insbesondere seine Vorschläge zur Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik zielen deutlich auf das gesamte Bundesgebiet. Die Forderung etwa, im Jahr 2010 bei den über 55-Jährigen die Beschäftigungsquote auf mehr als 50 Prozent zu steigern, bezieht sich wohl nicht nur auf Berlin. Auch nicht der Ruf nach einer neuen Unternehmenskultur, die die Arbeitnehmer nicht auspresse „wie die Zitronen“ und mit 40 zum alten Eisen degradiere.
Wowereit ist 53, und er hat noch viel vor. Damit das auch alle merken, zitierte er gestern den 63-jährigen Rolling Stone Keith Richard: „Zu altern ist eine faszinierende Angelegenheit, je älter man wird, desto älter will man werden.“