Alte Trumpfkarte des hessischen Landeschefs: Koch wahlkämpft gegen Ausländer
1999 störte Roland Koch der Doppelpass für "die Ausländer". Diesmal nimmt er "junge kriminelle Ausländer" zum Anlass, die einen Rentner in einer U-Bahn überfielen
FRANKFURT/BERLIN ap/dpa Nach dem brutalen Überfall auf einen Rentner in München hat der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die Chance erkannt, sich wieder ins Gespräch zu bringen. Koch, der in Hessen bei den Landtagswahlen vor einem Verlust der absoluten Mehrheit steht, forderte eine schärfere Gangart gegen ausländische Straftäter. "Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer", sagte Koch der Bild in einem Interview.
Allerdings brauchte Roland Koch ein wenig, um auf Touren zu kommen. "Es ist mir völlig egal, welchen Hintergrund Schläger haben", schickte er voraus. Dann unkte er von "bestimmten Lebenslügen" und einem "seltsamen soziologischen Verständnis für Gruppen, die bewusst als ethnische Minderheiten Gewalt ausüben". Der Ministerpräsident Hessens formulierte dagegen eine "deutsche Position": "Wer sich als Ausländer nicht an unsere Regeln hält, ist hier fehl am Platze."
Kochs Furor ist eine späte Reaktion darauf, dass ein 20-jähriger in Deutschland geborener Türke und ein 17-jähriger Grieche einen Rentner in der Münchner U-Bahn schwer verletzt hatten. Sie riefen ihm vorher zu, er sei ein Scheißdeutscher. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte angekündigt, den Deutschtürken ausweisen zu lassen.
Der grüne Landeschef Tarek Al-Wazir sagte, der geschwächte hessische Ministerpräsident wolle von eigenem Versagen ablenken und schlachte eine verabscheuungswürdige Gewalttat für den Wahlkampf aus. Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Die Grünen) sagte, Deutschland habe zu lange gebraucht, um sich als Einwanderungsland zu begreifen und seine Integrationsaufgaben wahrzunehmen. Daran trügen Leute wie Koch die Schuld. Roland Koch war in Hessen im Jahr 1999 unter anderem durch eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft an die Macht gekommen. Das führte dazu, dass Einbürgerungen für Migranten schwerer wurden als zunächst geplant.
Der niedersächsische Oppositionschef und SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner (SPD) äußerte sich ebenfalls zu dem Fall. Er sagte, in Deutschland wachse eine verlorene Generation junger Männer mit Migrationshintergrund heran, die mangels Schulabschluss und Ausbildung keine Perspektive in dieser Gesellschaft mehr hätten. Dieser soziale Sprengstoff sei gefährlich, warnte Jüttner im Bayerischen Rundfunk und forderte mehr Investitionen in die Bildung. Gerichte allein könnten Gewalt nicht verhindern.
Ganz anders Koch, der die neun Jahre alte Trumpfkarte "Ausländer" nicht zum ersten Mal zückt. Mitte Dezember hatte Koch bereits ein Verbot des islamischen Ganzkörperschleiers für Schülerinnen ins Gespräch gebracht - dabei ist in ganz Hessen kein solcher Fall bekannt. Die Opposition hielt sich mit Reaktionen jedoch zurück. SPD und Grüne wollen sich nicht wieder in eine polarisierende Auseinandersetzung hineinziehen lassen.
"Das wird nicht ein zweites Mal funktionieren", hielt Grünen-Landesvorsitzender Tarek Al-Wazir dagegen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche