Als wär's ein Stück von Rüttgers

Die neue Bundesregierung setzt auf Innovationen in Forschung und Technik – ganz wie die alte. Auch die umstrittene Gentechnologie wollen die Sozialgrünen weiter fördern. Eine Einschätzung  ■ von Wolfgang Löhr

Eine SPD-geführte Bundesregierung wird die Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung und Wissenschaft innerhalb der nächsten fünf Jahre verdoppeln.“ Aus diesem großzügigen Versprechen, mit dem die neue, sozialdemokratische Forschungsministerin Edelgard Bulmahn in den Wahlkampf zog, wird vorerst nichts. „Deutschland muß eine Ideenfabrik werden“, heißt es zwar immer noch in der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgeschlossenen Koalitionsvereinbarung. Doch angesichts leerer Kassen muß der vorgesehene Geldregen für Forschung und Bildung erst einmal ausbleiben. Jetzt heißt es nur noch, die Zukunftsinvestitionen sollen „deutlich verstärkt“ werden.

Forschungsorganisationen sind mit Stellungnahmen zu dem Koalitionspapier zurückhaltend. Nur vereinzelt sind kritische Stimmen zu hören. So warnt die Fraunhofer-Gesellschaft, die mit ihren 47 Instituten ausschließlich anwendungsorientierte Forschung betreibt, vor einer Einengung der Forschungspolitik auf wenige Bereiche. Es wäre eine „Katastrophe für Deutschland“, wenn der Eindruck entstünde, daß hier „nur noch sehr einseitig gedacht“ werde, sagte der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Professor Hans- Jürgen Warnecke. Er denke dabei insbesondere an die „Kerntechnik und Biotechnologie“.

Häufig zu hören ist jedoch – und das scheint auch die vorherrschende Meinung in den Forschungseinrichtungen zu sein: „Wir können mit der Koalitionsvereinbarung gut leben.“ Verständlich, denn die neue Forschungsministerin Bulmahn hat nicht die Absicht, die deutsche Forschungslandschaft umzukrempeln. „Das Forschungssystem hat sich in seiner Vielgestaltigkeit bewährt“, heißt es in der rot- grünen Vereinbarung. „Wir werden es weiterentwickeln.“ Versprochen werden Akzentverschiebungen: weniger Bürokratie, eine stärkere Ausrichtung auf „sozialökologische Umweltforschung“ und mehr „Eigenverantwortlichkeit“ der Forschungsinstitutionen.

„Wir sehen durchaus einige gute Ansätze“, meint Reiner Braun, Geschäftsführer bei der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative in Dortmund. Der Vertrag sei „interpretationsfähig, und es kommt jetzt darauf an, wie die Worthülsen mit Inhalten gefüllt werden“. Pluspunkte vergibt Braun unter anderem für den Passus, daß die neue Regierung die „Friedens- und Konfliktforschung“ wiederbeleben möchte. Völlig unzureichend ist für ihn hingegen, daß in der Vereinbarung kein Wort über militärisch ausgerichtete Forschungsprojekte verloren wird. Die Betriebsräte der Großforschungseinrichtungen wehren sich schon seit langem dagegen, daß in ihren Instituten militärisch orientierte Forschung betrieben wird. Oftmals wissen die Mitarbeiter noch nicht einmal, wer die wahren Auftraggeber sind. Hier erwartet Braun, daß die neue Ministerin die Initiative ergreift, für mehr Transparenz sorgt und notfalls auch eingreift.

Ein besonderes Konfliktfeld für die rot- grüne Regierung werden die neuen Biotechnologien sein. Zwar wird in dem Kapitel zur Forschungspolitik vermieden, die Biotechnologie oder gar die Gentechnologie zu erwähnen. Unter der Überschrift „Umweltschutz: wirksam, effizient und demokratisch“ werden jedoch die Genkritiker, die ihre Hoffnungen auf grüne Wahlversprechen gesetzt haben, herb enttäuscht. Die „verantwortbaren Innovationspotentiale der Bio- und Gentechnologie“ werden systematisch weiterentwickelt, heißt es in dem Papier. Von der Position der Grünen, die eine „grundsätzliche Ablehnung der Gentechnik“ vorsah und „rekombinante Medikamente und Gentests“ nur dann tolerieren wollte, wenn keine alternativen Therapien oder Methoden zur Verfügung stehen, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Grüne Vorstellungen sind höchstens an dem Anhängsel „Alternative Verfahren und Strategien müssen dabei einen angemessenen Raum erhalten“ zu erkennen.

Bulmahns Vorgänger Jürgen Rüttgers hatte bereits seinerzeit versprochen: „Bis zum Jahr 2000 werden wir bei der Gentechnologie die Nummer eins in Europa sein.“ Die neue Forschungsministerin hat offenbar nicht die Absicht, hier eine Kursänderung vorzunehmen. Schon vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages kündigte sie an, die Sozialdemokraten würden an der bisherigen Gentechnikpolitik der Regierung Kohl nicht viel ändern. „Das Koalitionspapier fällt selbst noch weit hinter die aktuelle Entwicklung im benachbarten Ausland zurück“, kritisiert Dan Leskien vom Bund für Umweltschutz (BUND). Mehrere europäische Regierungen gingen auf Distanz zur Gentechnik. So habe Frankreich nicht nur ein vorübergehendes Handelsverbot für den genmanipulierten Mais von Novartis erlassen, sondern auch ein zweijähriges Moratorium für die Zulassung neuer Gentech-Pflanzen ausgesprochen. In Österreich und Luxemburg bestehe ein Importverbot für Genmais. Und auch in Griechenland und Großbritannien würden zunehmend Bedenken über die gesundheitlichen und ökologischen Folgen von Gentech-Pflanzen geäußert. „In dem Koalitionsvertrag“, sagt Leskien, „ist so gut wie nichts von dieser Entwicklung wiederzufinden.“

Vorsichtig optimistisch hingegen ist die Gentech-Expertin am Ökoinstitut Freiburg, Barbara Weber, was die künftige Genforschungspolitik anbelangt. Formulierungen wie „verantwortbare Innovationspotentiale“ oder „angemessener Raum“ ließen vieles offen. „Es kommt jetzt darauf an“, sagt Weber, „diese Begriffe sinnvoll zu definieren.“ Federführend bei der Erarbeitung von gesetzlichen Regelungen für die Gentechnologie sei das Gesundheitsministerium – und das werde künftig immerhin von einer grünen Ministerin geführt.

Schon zum Auftakt des Wahlkampfes hatte der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Gen- und Reproduktionstechnologie der Bündnisgrünen, Uwe-Jürgen Ness, gewarnt: „Wie Rot-Grün zur Gentechnik steht, wird angesichts der Kräfteverhältnisse eher zu unseren Ungunsten beantwortet werden.“ Wie die Dinge nun stehen, ist eines klar: An einem Streit über die Gentechnologie wollten die bündnisgrünen Unterhändler die Regierungskoalition nicht scheitern lassen.

Hinzu kommt, daß ein Gentechnikexperte in der neuen grünen Bundestagsfraktion nicht mehr vertreten ist. Der Molekularbiologe Manuel Kieper und die Ärztin Marina Steindor, die in den letzten Jahren die Gentechnikpolitik der Grünen maßgeblich beeinflußten, haben den Sprung ins Parlament nicht geschafft. Nur wenn die Minister Joschka Fischer und Jürgen Trittin ihre Bundestagsmandate niedergelegt hätten, wären sie als Nachrücker ins Parlament gezogen. So steht die grüne Fraktion bei einem Thema, das die Partei in den letzten fünfzehn Jahren entscheidend mitgeprägt hat, vorerst ohne Fachkompetenz da.