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■ Als die Sozialdemokraten einmal Kapitalismus spielten und dabei die Bremer Werftarbeiter so richtig verarschtenIndustriekonservativ in die Pleite

Im nachhinein sind alle klüger, so heißt es. Auf alle Fälle sind alle verlogener. Jetzt wird angesichts der Vulkan-Pleite über den Verlust von 23.000 Arbeitsplätzen in Norddeutschland gejammert. Plötzlich sind in Bremen klassenkämpferische Töne zu hören, die allerdings von lokalpatriotischen Tiraden weit übertroffen werden.

Es lohnt sich ein genauer Blick auf diejenigen, die da traurig und stellvertretend betroffen in die TV-Kameras hineinjaulen, allen voran Bremens Bürgermeister Henning Scherf. Das sind in der Regel Menschen, die seit Jahren gut informiert die Pleite des Vulkan begleitet haben. Im paritätischen Aufsichtsrat saß auf der Arbeitgeberseite ein gewisser Claus Grobecker, Sozialdemokrat und Ex-Senator, der sich gerne Grobi nennen läßt. Dort hatte der Bremer SPD-Filz eine Mehrheit, die die jetzt als größenwahnsinnig gescholtene Strategie des Herrn Hennemann (auch SPD) durchgewunken und mitgetragen hat. Die Pleite des Konzerns und das damit verbundene Schicksal der dort Beschäftigten hat nicht nur ökonomische, sondern auch politische Gründe. Die Überschrift über diesem unschönen Kapitel der Werftenpleite könnte lauten: „Als die Sozialdemokraten einmal Kapitalismus spielten und die Werftarbeiter dabei so richtig verarschten“.

Im Gegensatz zu allen anderen Beteiligten hatte Hennemann wenigstens ein Konzept. Kurzgefaßt: großes Rad drehen, alles aufkaufen, was irgendwie mit dem Begriff Synergie zu begründen ist, Banken, Politikern und Liferanten das Geld aus der Tasche ziehen und den Konzern immer am Rande der Liquiditätskrise in eine glorreiche Zukunft führen. So etwas kann klappen, aber nur wenn ein wohlgesonnener Markt wie eine schöne Fee dem Unternehmen lacht. Wohlgesonnene Märkte gibt es aber nur im Märchen. Für Schiffe gelten Weltmarktpreise.

Womit wir bei dem wirklichen Problem sind. Der jetzige Chef des Vorstandes brachte auf einer Pressekonferenz einen geradezu epochalen Satz über die blutleeren Lippen: „Wir dürfen in Zukunft nur noch Aufträge hereinnehmen, die auch die Kosten decken.“ Na so was, denkt sich der kritische Betrachter. Die Vulkan-Werft konnte schon lange nicht mehr auf dem Weltmarkt konkurrieren. Die Kosten lagen um 30 Prozent höher als bei der asiatischen Konkurrenz. Da bleibt dann immer nur eins übrig: Die Differenz wird subventioniert. Nun ist nichts Grundsätzliches dagegen zu sagen, wenn kurzfristig eine Industrie aus volkswirtschaftlichen oder regionalpolitischen Gründen mit Steuergeldern über eine Schwächeperiode gebracht wird. Doch fällt auf, daß eine Gewöhnung an eine solche Praxis eintritt und dem Schrecken ohne Ende in der Regel ein schreckliches Ende folgt.

Der Grund für das regelmäßige Scheitern einer subventionsgestützten Industriepolitik ist schnell benannt. Es ist heute schon mittelfristig unmöglich, eine veraltete Großindustrie gegen den Markt zu subventionieren. Das liegt nicht nur an den unter dem Stichwort „Globalisierung“ genannten Gründen. Es ist einfach wahr, daß wegen niedriger Löhne und Lohnnebenkosten standardisierbare Produkte – und die meisten Schiffe sind das – auf asiatischen Werften billiger gebaut werden können als auf deutschen. Das liegt auch daran, daß die finanziellen Dimensionen, die heute benötigt werden, um die Differenz von Weltmarktpreis und westdeutschen Entstehungskosten auszugleichen, die Budgets des Staates überfordern. Für Bremen gilt das übrigens schon lange.

Es ist einfach absurd, wenn ein kleiner Stadtstaat wie Bremen mit Bürgschaften die Weltmarktentwicklung aufhalten will. Wer deswegen, wie der Bremer Stadtökonom Rudolf Hickel, immer noch auf eine wachsende Staatsverschuldung setzt, verlagert die Pleite nur auf eine andere Ebene. Er nimmt die politische Handlungsunfähigkeit seiner Stadt billigend in Kauf und riskiert genau die gefährliche Debatte, die wir jetzt am Hals haben: Wegen der hohen Staatsverschuldung kommt der Sozialstaat ins Gerede.

Insgesamt scheiterte die Industriepolitik der SPD immer deswegen, weil sie als reine Klientelpolitik konzipiert ist. Selbstverständlich ist es moralisch hochwertig, wenn man Werftarbeitsplätze über ein paar Jahre über die Zeit rettet. Das geht zwar auf Kosten von Steuerzahlern, Banken und Lieferanten und all jener, die unter der rigorosen Bremer Sparpolitik zu leiden haben, aber die Werftarbeiter sind der SPD eben näher als andere. Problematischer ist: Die Klientelpolitik der SPD folgt dem nostalgischen Bild einer Arbeitsgesellschaft, die von einer Groß- oder besser Massenindustrie geprägt war und in der die SPD ihre große Zeit hatte. Diese Zeit ist lange vorbei. Das nicht erkannt zu haben und gegen diese Entwicklung auf die alten Industriestrukturen gesetzt zu haben, macht das geradezu tragische Versagen sozialdemokratischer Politik aus.

Wichtiger als die Analyse des Versagens ist jedoch die Perspektive. Die gänzliche Sprach- und Ratlosigkeit beispielsweise der Gewerkschaftsvertreter im Vulkan-Aufsichtsrat ist ja nicht nur Scham über das eigene Versagen, sondern auch objektiv begründet. Die bundesrepublikanische Industrie und mit ihr die Industriegewerkschaften befinden sich in einem Rattenrennen. Sie kann ihre Märkte nur verteidigen und damit den vergleichsweise hohen Lohnstandard finanzieren, wenn sie wesentlich produktiver ist als die Weltmarktkonkurrenz. Es ist wirklich banal: Produktiver ist man nur durch Innovationen. Diese führen entweder zu Rationalisierung und Automatisierung mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt oder zu neuen Produkten, die günstigenfalls den Arbeitsmarkt entlastende Innovationszyklen in Gang setzen. Die derzeitige Arbeitslosenzahl wird nicht nur durch Umverteilung der Arbeit, Arbeitszeitverkürzung oder Überstundenabbau zu beseitigen sein. Wenn überhaupt, dann könnte nur ein großdimensionierter Wandel in einem Kernbereich der industriellen Produktion diese technologisch bedingte Arbeitslosigkeit nachhaltig reduzieren.

In drei Bereichen sind Ansätze dafür zu beobachten, die Hoffnung machen. Es ist die Umwelttechnologie, in der massenweise neue Arbeitsplätze entstehen, die schon seit langem geforderte Energiewende und eine Ökologisierung des Individualverkehrs. Das Versagen der Wirtschaft und insbesondere der Politik liegt darin, daß sie, anstatt diese Diskussion konkret werden zu lassen, mit der Konservierung von Strukturen beschäftigt war, die schon lange dem Untergang geweiht waren. Jo Müller

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