Als Feldpost gefühlte Frauenliteratur: Weiche Knie für alle
Warum suhlen sich junge Autorinnen so gerne in Schleim und Blut? Über die Wiederkehr des Körpers als befremdliches Ding in den neuen Romanen von Lucy Fricke und Léda Fargó.
Es ist schon über ein Vierteljahrhundert her, da sorgte an den Unis und in den Feuilletons ein neues Thema für Aufregung. Von der Wiederkehr des Körpers war gern und oft die Rede, von einer neuen Subjektivität, von Frauenliteratur zum Beispiel, die den Körper nicht nur zum Thema hatte, sondern mit dem Körper geschrieben war. Es ging um eine weibliche Ästhetik unter den Krusten der Zuschreibungen, um den Entwurf einer freien, nicht männerbestimmten Schrift. Eine Generation später, in den Neunzigern, kam der Körper noch einmal ins Spiel. Nun wurde nicht mehr nur die literarische Sehnsucht nach Echtem und Eigenem verhandelt, sondern die Autoren feierten auch versehrte und kollabierende Körper als Abweichung, als Kritik an der makellosen Norm.
Schaut man sich heute die neuen Bücher zweier junger deutschen Autorinnen an - "Vom Ausbleiben der Schönheit" von Léda Forgó und "Ich habe Freunde mitgebracht" von Lucy Fricke - man könnte meinen, es wäre wieder so weit. Noch einmal ist der innige Kontakt zum Physischen ein großes Thema. In den beiden Romanen treten Heldinnen die Flucht an vor nur scheinbar selbst gewählten, postmodernen Lifestyles, die, so unterschiedlich sie sind, für beide große Überforderung darstellen.
Ihre Lebensentwürfe verlangen, flexibel zu sein und in Form, stets in Bewegung und unter Dampf. Einzig der Kinderwunsch verspricht, das Leben etwas zu puffern, es zu sortieren und endlich irgendwo anzukommen. Doch wird dieser Wunsch bei beiden mit solcher Lust an die Wand gefahren, dass man mitunter glaubt, es mit einer literarische Verarbeitung von Charlotte Roche und ihren "Feuchtgebieten" zu tun zu haben, wo es auch nur so vor Sperma und Schmegma, Eiter und Urin schäumte. Diese Lust, dieser Humor: Das ist genau das Neue, was bei Fricke und Forgó passiert.
Aber noch einmal auf Anfang. Lucy Frickes "Ich habe die Freunde mitgebracht" erzählt treffend, unterhaltsam und schnell. Es geht um das Milieu der Berliner Kreativwirtschaft. Was einmal den Subkulturen vorbehalten war, hat sich zu einer kulturellen Norm verhärtet. Vier Figuren - alle Mitte dreißig - schlagen sich damit herum, was sie von den Eltern in die Wiege gelegt bekamen: Du sollst dich selbst verwirklichen. Sie haben einmal geglaubt, es stünden ihnen alle Möglichkeiten offen, doch nun merken sie, dass sie sich nie für etwas entschieden haben.
Da ist Jon, der schöne Schauspieler, und da ist Betty, die einsame Kettenraucherin, die am Set auf Anschlussfehler achtet. Da ist Henning, namenloser Arbeiter im Zeichentrickbusiness, der mal selber Superhelden erfinden wollte - und da ist vor allem Martha, die gelangweilte Nachrichtensprecherin, die sich verzweifelt nach einer Zäsur sehnt in ihrem Leben, "damit es sich zerteilen ließe in ein Davor und Danach, damit es endlich ein Datum gäbe, das zu erinnern es wert wäre".
Prompt bekommt Martha sie, ihre Zäsur. Sie wird schwanger, erleidet aber ungefähr in der Mitte des Romans eine Fehlgeburt, die nicht nur sie aus der Bahn wirft, sondern auch den Roman. Derart drastisch und blutrünstig werden diese Fehlgeburt und Marthas Reaktion darauf geschildert, dass man sich plötzlich in einem Comic oder Splatter von Jörg Buttgereit wähnt, in dem es lustig schleimt und schmiert, blutet und blubbert. Der Leser bekommt weiche Knie und muss das Buch ein paar Atemzüge ans Herz drücken.
Es ist schon eine erstaunliche Parallele, dass auch Léda Forgó in ihrem zweiten Roman, der viel unordentlicher, verstrickter und verzwackter daherkommt als der Frickes, es gleich zu Beginn auf ganz ähnliche Weise krachen lässt. Wie bei Fricke ist auch bei Forgó von dunkler Flüssigkeit, geschwollenem Unterleib und dergleichen mehr die Rede. Anders als Martha widerfährt Lalé aber all das nicht nur, sie lässt das Kind vom geliebten Mann, der seine Frau nicht für sie verlassen will, abtreiben.
Doch nicht nur dieser Mann stellt ein Ärgernis dar. Ein noch größeres Problem für Lalé ist, dass sie bei ihrer Großmutter in Ungarn aufgewachsen ist, in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit. Nun mäandert sie, die natürlich ebenfalls irgendwie kulturschaffend ist, wie der einsamste Mensch durch dieses Berlin. Die sogenannte Integration, das Leben zwischen zwei Welten, das bei anderen so mühelos aussieht, will ums Verrecken nicht glücken.
Da kann ja alles nur noch schlimmer werden, als Lalé eine Art Notnagel heiratet, es noch einmal mit Mutterschaft probiert, zu seiner fast nicht mehr glaubwürdig biederen Familie ins Brandenburgische zieht und mit Gewalt einholen will, was nicht einzuholen ist. Léda Forgó schildert mitreißend: Lalé scheitert, und zwar grandios.
Aber warum werden diese Autorinnen so plakativ brutal, wenn es gilt, ihren Roman in Schwung zu bringen oder zu wenden? Eine der Erklärungen könnte sein: Wir leben in einem gebärfaulen Land. Wer kein Kind hat, der kann es vermeiden, je mit Themen wie Schwangerschaft und Geburt in Berührung zu kommen. In jedem Wartezimmer müssen wir in Gala und Bunte lesen: Heidi Klum bekommt ihr viertes Kind und hat zwei Wochen später den Waschbrettbauch wieder. Angelina Jolie hat drei Adoptivkinder, stillt gleichzeitig ihre drei leiblichen - und sieht immer noch aus wie made in Meißen. Sängerin Madonna, die ewige Cheerleaderin, nimmt mit 51 ihr zweites Adoptivkind zu sich. Und wie viele Kinder hat noch mal Ursula von der Leyen? Anders gefragt: Wo sind die Mütter, die nicht hart wie Kruppstahl sind, die man wirklich nachzuleben in der Lage wäre?
Aber es gibt vielleicht noch einen Grund, warum sich Frauenliteratur heute vermehrt anfühlt wie jene berühmte Feldpost der Freikorps-Soldaten, die Klaus Theweleit in den Siebzigern zuhauf für sein unterhaltsames Werk "Männerphantasien" studiert haben muss. Es scheint, als ginge es hier um ein Spiel mit Bekanntem, mit der guten, alten Flutangst, die sich nach wie vor bester Gesundheit erfreut, mit dem Ekel des gestählten Körpers vor allem Weichen, Flüssigen und Disparaten. Und schließlich: Das Brutale, das Blut und der Schmerz - sie haben bei Lucy Fricke und Léda Forgó auch etwas von einem Lippenbekenntnis.
Denn wie ihre Figuren Martha und Lalé selbst mit ihrem Leib umgehen, das hat weniger mit Ekel zu tun als mit Befremden, ja einer Spur Belustigung. Am Ende denken sie: Wenn dies das Reale sein soll, das Wirkliche - nein danke. Das Eigene und Echte, das uns hier angeboten wird, ist weder frei von Zuschreibungen und Klischees, noch taugt es zur Feier.
Also lieber wieder zurück. Zurück zu den Überforderungen der Kreativität, zurück zum Stress des Multikulti. Mag sein, dass es inzwischen zur coolen Leistungsshow geronnen ist. Aber irgendwann vor langer Zeit, so denken diese beiden sympathischen Figuren vielleicht, da haben wir all das immerhin mit aufgebaut.
Lucy Fricke: "Ich habe Freunde mitgebracht". Rowohlt, Reinbek 2010, 192 Seiten, 16,95 Euro
Léda Forgó: "Vom Ausbleiben der Schönheit". Rowohlt, Berlin 2010, 256 Seiten, 19,95 Euro
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