Als Arzt in Haiti: "Wir würden sofort zurückfahren"
Was erleben die Helfer in Haiti? Der Arzt Klaus Runggaldier flog am Tag nach dem Beben nach Port-au-Prince. Das Wichtigste ist, dass die Hilfe langfristig funktioniert, sagt er.
taz: Herr Runggaldier, wie waren Ihre ersten Eindrücke von der Situation in Haiti?
Klaus Runggaldier: Der erste Eindruck war noch nicht einmal der schlimmste. Wir sind nachts in Port-au-Prince angekommen, alles war dunkel, und die Stadtteile, durch die wir zu unserer Unterkunft gefahren sind, waren nur wenig zerstört. Am nächsten Morgen sind wir dann in die Stadt gefahren, nur 500 Meter weiter, dort war es verheerend.
Hatten Sie sich die Situation so schlimm vorgestellt?
42, ist Professor für Medizinpädagogik und Leiter des Rettungsdienstes der Malteser in Deutschland. Er und sein Team waren unter den ersten Helfern, die nach dem Beben in Haiti eintrafen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Nein. Wir hatten vorher nur sehr wenige Informationen. Uns hat vor allem das schiere Ausmaß überrascht. Das kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat.
Kann man sich auf so etwas vorbereiten?
Nein. Letztendlich weiß man nie, was einen erwartet, aber vielleicht war das gut. Wir sind sehr schnell nach dem Beben nach Haiti gefahren, dadurch blieb uns wenig Zeit zum Überlegen.
Haben Sie gezögert, ob Sie mitgehen sollen?
Irgendwer muss ja dorthin, aber ich habe das vorher natürlich mit meiner Familie abgeklärt.
Haben Sie so etwas schon mal erlebt?
Nein, in dieser Dimension nicht. Gottlob hatte ich vorher immer leichtere Aufgaben, vor allem im Bereich der Prävention.
Wie war die Situation für Sie als Helfer vor Ort?
Wir haben im Elternhaus eines haitianischen Kollegen geschlafen. Das war noch relativ intakt und sicher. Auch wir Helfer mussten uns dort erst mal organisieren, Fahrzeuge, Diesel und Strom auftreiben.
Was haben Sie denn gegessen?
Manchmal gab es im UN-Hauptquartier eine warme Mahlzeit, das Abendessen bestand aber fast immer aus Erdnüsse oder Crackern. Trotzdem: Uns ging es gut. Wir hatten ein Dach und vor allem hatten wir Wasser. Ein Höhepunkt des Tages war es, in die Unterkunft zu kommen, sich den Schweiß abzuwaschen und die Bilder aus dem Kopf zu spülen.
Was waren Ihre Aufgaben?
Zunächst haben wir versucht, die Lage für die Helfer, die nach uns kamen, vorzubereiten. Dann haben wir einen Platz gesucht, an dem wir konkret helfen können. Wir hatten ja lauter erfahrene Mediziner dabei. In Port-au-Prince haben wir ein zerstörtes Krankenhaus wieder in Betrieb genommen und später vor allem Informationen gesammelt.
Was braucht die Bevölkerung denn am dringendsten?
Schwierig zu sagen, am Flughafen hängt noch viel in der Warteschleife. Auf jeden Fall Wasser, dann Hygiene und Sanitäres zur Seuchenvermeidung, und sicherlich auch Ernährung. Vor allem aber muss die Hilfe auch langfristig weiterfunktionieren. Im Moment haben wir noch viel Aufmerksamkeit in den Medien, aber in drei, vier Wochen ist das bestimmt anders. Dann geht es dort aber erst so richtig los, und genau dann werden auch die Weichen gestellt, ob Haiti eine bessere Zukunft hat.
Kann das Beben dann sogar eine Chance für Haiti sein?
Wenn man versucht, langfristig etwas zu tun, dann schon. Wir als Hilfsorganisation werden versuchen, unseren Teil dazu beizutragen. Aber das wird nicht reichen, auch die ganz Großen, die USA und die Länder in Europa, müssen mitspielen.
Haben Sie sich als Helfer manchmal hilflos gefühlt?
Auf jeden Fall. Man kann eben nicht alles machen und nicht jedem helfen, teilweise waren wir deshalb sehr frustriert. Jetzt höre ich aber von Geburten, ich sehe Bilder von Menschen in Haiti, die nach vorne sehen, deren Gesichter nicht mehr nur apathisch sind. Das ist eine gute Motivation für uns alle.
Wie geht es Ihnen, seit Sie wieder zurück sind?
Den Umständen entsprechend gut. Ich bin ein bisschen leer, aber das ist normal, weil man sehr viel arbeitet, bis die Ablösung kommt. Jetzt fordert der Körper das zurück. Man schläft viel und versucht das Erlebte abzuschließen.
Werden Sie wieder nach Haiti fahren?
Im Moment ist nichts geplant, aber meine Kollegen und ich sind uns einig, dass wir sofort wieder zurückfahren würden.
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