Als 11-Jährige gekidnappt: Nach 18 Jahren wieder frei
Ein vor 18 Jahren in den USA entführtes Mädchen ist wieder aufgetaucht. Sie wurde in einer Laube gefangen gehalten und vergewaltigt. Sie hat zwei Kinder mit ihrem Entführer.
PLACERVILLE ap/dpa | Einer der spektakulärsten Entführungsfälle der USA ist weitgehend aufgeklärt: Eine Frau, die als elfjähriges Mädchen von ihrem Peiniger entführt, immer wieder vergewaltigt und in einem Hinterhof isoliert von der Außenwelt gefangen gehalten wurde, ist nach 18 Jahren frei. Die jetzt 29 Jahre alte Jaycee Lee Dugard und ihre Mutter, Terry Probyn, trafen am Donnerstag in Nordkalifornien zusammen, berichtete der Sender KCBS. Als mutmaßliche Entführer wurde ein Ehepaar aus der Ortschaft Antioch, rund 80 Kilometer nordöstlich von San Francisco, in Gewahrsam genommen. Dem 58 Jahre alten Mann werden unter anderem Entführung und Vergewaltigung vorgeworfen, seiner 55-jährige Ehefrau Beihilfe. Der Mann ist bereits wegen früherer Sexualdelikte vorbestraft und steht unter lebenslanger Bewährung.
Weder die Ermittlungen der Polizei und auch nicht ein Aufruf in der US-Version der Fernsehsendung "Aktenzeichen XY", "Americas Most Wanted" führten in all den Jahren, in denen der Kidnapper zwei Kinder mit seinem Opfer zeugte, zum Erfolg. Der 58-jährige fiel der Polizei in Berkeley auf, als er versuchte, mit zwei Kindern das Gelände der Universität zu betreten und dort religiöse Flugblätter zu verteilen. Er habe sich gegenüber den Kindern verdächtig verhalten, teilte die Polizei am Donnerstag in Placerville mit.
Eine Kontrolle der Personendaten ergab, dass Phillip Garrido ein bedingt entlassener Häftling ist. Sein Bewährungshelfer wurde informiert und ein Treffen angeordnet. Garrido erschien am Mittwoch mit Jaycee Lee Dugard, deren Name durch "Americas Most Wanted" bekannt wurde, und den beiden elf und 15 Jahre alten Mädchen. Bei dem Treffen stellte die inzwischen 29-jährige Dugard sich als "Allissa" und Ehefrau Garridos vor. Während der Befragung gab Garrido nach Darstellung der Beamten zu, Dugard entführt zu haben. Der Verdächtige habe noch keinen Anwalt, hieß es am Donnerstag.
Mit Garrido wurde dessen 54-jährige Frau Nancy verhaftet - sie soll bei der Entführung 1991 dabei gewesen sein. Die damals elfjährige Dugard wurde an der Schulbushaltestelle in South Lake Tahoe vor den Augen ihres Stiefvaters in ein Auto gezerrt. Der 60-jährige Carl Probyn galt lange selbst als Tatverdächtiger. "Es hat meine Ehe zerbrochen", sagte er der Nachrichtenagentur AP. "Ich bin durch die Hölle gegangen, ich meine, ich war bis gestern ein Verdächtiger."
Der Fall ließ Fragen aufkommen, ob bedingt Haftentlassene streng genug kontrolliert werden. Die Polizei teilte mit, ein Bewährungshelfer habe bei einem kürzlichen Kontrollbesuch nichts bemerkt - der Hinterhof sei völlig unübersichtlich gewesen - mit Verschlägen, Planen und Zäunen. "Sie lebten auf diesem Gelände des Hauses in totaler Isolierung", sagte Sheriff Fred Kollar von der Polizei im Bezirk El Dorado. Der kleine, schallisolierte Bretterverschlag konnte von außen verriegelt werden. Zwei Zelte, ein primitives Klo und eine Dusche, "so wie beim Camping", beschrieb der Polizist das ärmliche Zwangslager.
Sie und die Kinder hätten nie einen Arzt gesehen, die Kinder seien auch nicht in die Schule gegangen. Auf den ersten Blick war den Opfern die Quälerei nicht anzusehen. Mutter und Kinder seien gesundheitlich "in verhältnismäßig guter Verfassung", sagte Kollar. Aber 18 Jahre in einem verborgenen Verschlag "würden ihren Tribut fordern".
Garridos Anwesen befindet sich in Antioch, einer 100.000-Einwohnerstadt. Dort betrieb er eine Druckerei. Nachbarn und Kunden sagten, ihnen sei nichts Verdächtiges aufgefallen. Die meisten Nachbarn wussten, dass der 58-Jährige wegen früherer Straftaten als Sexualtäter gemeldet war. Nachbarin Haydee Perry sagte dem San Francisco Chronicle, dass sie kürzlich eines der beiden Mädchen sah, das sich mit "einem leeren Blick" und "ungewöhnlich eng" an den Mann klammerte. Die Mutter hätten sie nie gesehen, nur gelegentlich die Kinder, die den älteren Mann als ihren Vater bezeichneten. Garridos religiöser Fanatismus habe sich in den letzten Jahren aber gesteigert. Ein Kunde, Tim Allen, sagte, Garrido habe zuletzt davon gesprochen, die Druckerei aufzugeben und Prediger zu werden. Im April 2008 schrieb er bei den Behörden unter seiner Adresse eine Vereinigung mit dem Namen "Gods Desire" ein.
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