Alltag mit Kurzarbeit: Das Leben ist kurz

Seit Oktober gibt es Kurzarbeit in der Firma Manroland. Anfangs gefiel das Maschinenschlosser Michael Klein. Doch nun macht die Lage ihm zu schaffen - und auch der Familie.

Vielerorts stehen die Maschinen in den Produktionshallen still - zumindest zeitweise. Bild: dpa

Wie viele? Wie viele Menschen in der Bundesrepublik derzeit in Kurzarbeit sind, kann niemand genau sagen. Bisher haben 24.000 Betriebe für 670.000 Mitarbeiter Kurzarbeit angemeldet. Ob diese Menge aber auch ausgeschöpft wird, ist unklar.

Wie viel? Seit Jahresbeginn summierten sich die Ausgaben der Bundesagentur für die Kurzarbeit auf 260 Millionen Euro. Sie setzen sich aus dem Kurzarbeitergeld und den an die Arbeitgeber rückerstatteten Sozialbeiträgen zusammen. Insgesamt sind im Jahreshaushalt der Arbeitsagentur 2,1 Milliarden Euro für Kurzarbeit vorgesehen.

Wie lange? Seit dem 1. Januar 2009 beträgt die Bezugsfrist für das Kurzarbeitergeld 18 Monate. Liegen jedoch außergewöhnliche Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt vor, kann sie auf bis zu 24 Monate ausgedehnt werden.

Die Krise in Deutschland ist für Michael Klein etwa drei mal drei Meter groß. Das ist die Fläche einer Stahlplatte, tonnenschwer, massiv und silbern glänzend. Sie ist leer. Dabei müsste auf ihr, eingelassen in den Betonboden des Fabrikgebäudes von Manroland in Offenbach am Main, nun eigentlich das stählerne, an die Seitenwand eines Klaviers erinnernde Seitenteil einer Bogendruckmaschine stehen. Mit ihr kann man Plakate und Bücher drucken. Aber die Firma von Michael Klein hat die Produktion zurückgefahren, Kurzarbeit angeordnet. "Sonst ist des hier viel hektischer", sagt der Maschinenschlosser Klein im weichen Dialekt Südhessens, "jetzt sind wir hier zu zweit oder zu dritt, sonst waren wir immer sechs Leute."

Um zu verstehen, was Kurzarbeit bedeutet, lohnt ein Besuch in der Taktmontagehalle des Bogendruckmaschinen-Unternehmens Manroland - und bei Michael Klein, der hier im Blaumann gerade dabei ist, Schläuche an ein Seitenteil der Bogendruckmaschine A 700 zu schrauben. "Des Seitenteil kommt nackisch her", erklärt der 53-Jährige. "Michel", wie er nur genannt wird, ist ein großer, sportlicher, etwas schlacksiger Mann mit fast gänzlich weißen Haaren. Sein Lachen ist häufig zu hören, obwohl seine Arbeit viel Konzentration und höchste Präzision erfordert. "Eine Druckmaschine", erzählt er, "ist was ganz Besonderes. Die verzeiht keine Fehler. Wir arbeiten im µ-Bereich."

µ, gesprochen: "mü", ist ein tausendstel Millimeter. Was eine solche Präzisionsarbeit bedeutet, wird an einem Handgriff deutlich: Bevor Klein und seine Kollegen einen stählernen Druckzylinder in das Seitenteil einbauen, legen sie ihn zehn Minuten lang in ein Tiefkühlfach, damit er wegen der Kälte um eine Winzigkeit zusammenschrumpft - und dann ganz genau in die vorgesehen Öffnung des Seitenteils passt.

Die präzise Arbeit, die Klein leistet, ist weltweit gefragt. "Keine Maschine ist gleich", erzählt er nebenher. Das Seitenteil, das er gerade bearbeitet, wird irgendwann im Libanon stehen, wie auf der angehängten Maschinenkarte steht. Die deutsche Druckmaschinenindustrie ist führend in der Welt, 80 Prozent des Weltmarktes haben drei deutsche Produzenten unter sich aufgeteilt. Manroland gehört zu diesen Hightech-Unternehmen. Und offenbar sind die Schlosser am Taktband darauf und auf ihre einzigartige Arbeit stolz. Überall in den Hallen von Manroland hängen, ein Jahr nach der EM, schwarz-rot-goldene Fahnen.

Doch diese heile deutsche Welt hat Risse bekommen, und könnte man sie messen, wäre µ schon lange nicht mehr die passende Maßeinheit. Auch dafür stehen Michael Klein und seine Heimat Geisenheim am Rhein. Das Städtchen mit gut 1.200 Einwohnern liegt zwischen Weinbergen. Hier wurde die Spätlese erfunden, heißt es, Rüdesheim liegt gleich nebenan. Es ist Deutschland wie im Bilderbuch. Klein wohnt in einem Dreifamilienhaus mit seiner Mutter und seinem Schwager im Geisenheimer Stadtteil "Pflänzer" - keine 300 Meter von hier wurde er geboren. "Ich habe mich noch nie großartig verändert", sagt er in seinem gepflegten Gärtchen, "immer um die Ecke rum."

Auch sein Unternehmen lag hier, weniger als einen Kilometer entfernt. Mit 14 Jahren hat Klein in Geisenheim eine Lehre als Maschinenschlosser begonnen - bald hat er 40 Berufsjahre hinter sich. "Ich hatte 35 Jahre den geilsten Arbeitsplatz der Welt - es war ein Traum." Vor drei Jahren wurde das Geisenheimer Werk, schon zu Manroland gehörend, geschlossen. "Für mich ist da ein Stück weit die Welt zusammengebrochen", sagt Klein. Seitdem pendelt er nach Offenbach. "Sie wisse doch, wie des is: Man muss flexibel sein!", ruft er sarkastisch.

Wenn Klein Frühschicht hat, fängt die Arbeit in Offenbach für ihn um 5.30 Uhr an. Dann muss er um 4 Uhr aufstehen, damit er mit vier anderen Geisenheimern ab 4.30 Uhr zusammen im Auto sitzen kann. Die Pendler lösen sich mit dem Fahren ab, damit der Fahrer gerade nachmittags nicht einschläft. Bei solchen Fahrgemeinschaften gab es schon "etliche Totalschäden", erzählt Klein, "Sekundenschlaf - Bumm!"

Auch wegen der frühen Aufsteherei war die Kurzarbeit anfangs "ganz schön", erholsam auch, sagt Klein: "Morgens mal lang schlafen, mal mit der Tochter frühstücken …" Doch Kurzarbeit ist kein Urlaub, Michael Klein muss immer erreichbar sein. Und seit Oktober hat die Kurzarbeit bei Manroland stetig zugenommen. In den letzten drei Monaten hatte Klein pro Monat im Schnitt "12 bis 14 Tage Kurzarbeit", wie er sagt - also an diesen Tagen keine Arbeit, auch wenn es anders klingt. Das sind etwa drei Viertel der durchschnittlichen Arbeitszeit.

Vor der Kurzarbeit verdiente Klein nach eigenen Angaben pro Monat etwa 2.000 Euro netto, jetzt sind es gerade mal 1.500. Er habe ja schon schlechte Zeiten erlebt, sagt Klein, "aber das ist das absolut Schlechteste." Dabei sei er ja noch ganz gut dran, weil die großen Investitionen des Lebens, vor allem das Haus, schon getätigt seien. Schlimm sei es bei jüngeren Kollegen, die gerade eine Wohnung gekauft hätten. Es gab schon mehrere Privatinsolvenzen in Kleins Kollegenkreis.

Zusammen mit seiner Frau Marianne, Jahrgang 1958, hat Klein zwei Kinder, Kevin, 23, und Lea, 17. Alle Familienmitglieder schauen während des Interviews im Garten vorbei, die Atmosphäre ist unkompliziert und herzlich. Marianne arbeitet Teilzeit bei einem Versicherungsmakler. Aber seit ein paar Wochen hat sie am Mund einen Ausschlag, der - "mit Sicherheit!", wie sie sagt - auch mit der Anspannung wegen der Kurzarbeit zu tun habe. "Es ist schon beängstigend", sagt sie, "belastend ist das." Wenn ihr Mann heimkomme mit seinen "Hiobsbotschaften", könne sie das "nicht wegschieben": "Ich mache alles mit meinem Magen aus." Auch für die Ehe sei das "eine Belastung", räumt sie ein - ihr Mann protestiert nur zaghaft. Klein schläft schlechter als früher. "Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust ist allgegenwärtig", sagt er in Gewerkschaftsdeutsch. Michael Klein war zwölf Jahre lang Betriebsrat.

Mariannes Bruder, der über ihnen wohnt, ist seit drei Jahren arbeitslos. Von den etwa 15 gleichaltrigen Männern in seinem Freundeskreis, erzählt Klein, arbeite etwa die Hälfte gar nicht mehr oder sei in Kurzarbeit. Die Firma müsse eben durchhalten, meint er sportlich, "mir schaffe des irgendwie." "Aber was zu ist, ist zu", wirft Marianne ein. "Aber auch dann gehts weiter", antwort ihr Mann, "es ist immer weitergegangen. In Deutschland ist noch keiner verhungert."

Marianne ist "im Januar und Februar an das Ersparte gegangen", wie sie sagt, jetzt dürfe "nichts Außergewöhnliches mehr passieren". Eine geplante Flugreise nach Spanien wurde familienintern gestrichen. Eine Couch, die sie sich im September ausgesucht hätten, werde nun im Mai geliefert. Da frage man sich heute schon: "Au, Scheiße, warum haste das gemacht?", berichtet Marianne. Und Lea sei klargemacht worden, dass ein Auto zum 18. Geburtstag, nicht unüblich in ihrer Privatschulklasse, nicht drin sei. Empört zeigen sich die freundlichen Kleins über manche Managergehälter der vergangenen Monate. "Die Gier des Menschen, das ist so etwas Schlimmes", sagt Klein und klatscht mit seinen Händen auf die Beine. "Da ist schon Hass dabei", ergänzt seine Frau.

Es ist 11.30 Uhr in der Montagehalle von Manroland, eine Klingel erschallt. Michael Klein hievt mithilfe eines mächtigen Greifarms die nächste Bodenplatte in den Boden - die Produktion kann weitergehen. "Normalerweise käm jetzt gleich das nächste Druckwerk", sagt Klein. Neben ihm steht Rainer Herth. Der bärtige Mann mit den längeren Haaren ist ein Kumpeltyp - und ein "freigestelltes Betriebsratsmitglied", wie es offiziell heißt. Derzeit herrsche hier unten "eine Schweinestimmung", erzählt er, auch weil man "Scheiße gebaut" habe. Der Betriebsrat wollte das Urlaubsgeld auf zwölf Monate verteilen, um die monatlichen Einnahmen der Arbeitnehmer zu erhöhen - aus rechnerischen Gründen aber kam für die meisten ein Minus dabei heraus. "Manche grüßen einen nicht mehr", erzählt Herth, "vielleicht waren wir zu blauäugig." Bis Ende des Jahres garantiert die Firmenleitung den Arbeitsplatz, eine Zusage, die sie laut Herth wohl bereut.

Wieder ertönt ein Klingeln. Mittagspause. Michael Klein macht von Marianne zubereitete Röstis und Geschnetzeltes in einer Mikrowelle warm. Es wird still in der Halle. Da und dort sieht man Männer, die sich in eine Ecke gelegt haben, um zu schlafen. "Da liegt ein Kollesch", sagt Herth und deutet auf auf einen Schlafenden. Während früher beneidet wurde, wer weniger arbeiten konnte, trifft Neid heute den, der mehr arbeiten darf. Die Krise ist im Kern der deutschen Wirtschaft angekommen. Auf einer tennisplatzgroßen Fläche in der Endmontagehalle ist Platz für eine fertig montierte Druckmaschine, ein kleines Wunderwerk aus Mechanik und Elektronik, fähig, 15.000 Bögen Papier in einer Stunde zu drucken, in allen Farben, in höchster Präzision. Es ist das Werk von Michael Klein und seinen Kollegen. Auf dem sauber gefegten Fabrikboden steht heute - nichts.

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