: Alltag in der Moderne: Solides Entertainment und der Rock ’n’ Roll mit Nachlader und Okou
Okay, eigentlich müsste man jetzt schweigen. Denn Daniel Baumann eröffnet das neue Album seines Projekts Nachlader mit Zeilen, die jede möglich Kritik schon mal vorsorglich aushebeln: „Und wenn Du denkst, Du kannst es besser, dann mach es doch selber“. Wenn man das nicht kann, aber trotzdem den Rand nicht halten will, dann bleibt einem wohl wirklich nichts übrig, als „Koma Baby lebt!“ über den grünen Klee zu loben. Was aber von der Musik unterfüttert wird. Denn der pluckernde Rock, durch den immer mal wieder Synthies fiepen, war zwar schon die Sensation der vergangenen Saison, kommt aber überzeugend flott daher. So sehr dieser Dance-Rock aktuell grassieren mag, in der hier vorliegenden Variante trifft die Elektronik noch einmal angemessen vehement auf das althergebrachte E-Gitarren-Arsenal.
Ins tatsächlich Zeitgemäße aber ziehen erst Baumanns Texte dieses, sein zweites Album. Seine Protagonisten kämpfen mit dem Alltag in der Moderne. Sie „verweigern den Verbrauch“ zwar, sind aber auch „nicht ausgeglichen“ und müssen dann „raus auf die Straße“. Dort stellen sie allerdings fest, dass niemand auf sie gewartet hat. Folgerichtig wird der doofe alte Satz vom Wirt, der das geworden ist, weil er sonst nichts geworden wäre, aktualisiert: „Wer nichts wird, wird virtuell“, singt Baumann und bringt damit das Dilemma einer ganzen Generation auf einen griffigen Punkt.
Wie wichtig solch gedankliche Eingängigkeit ist, das wissen Nachlader selbst am besten: „Keine Krise ohne Slogan, keine Kriege ohne Claim“, formuliert es Baumann. Und klingt kurz darauf wie ein frustrierter Werber, der den Sinn des Lebens sucht: „Ich könnt’s so gut haben mit Guthaben. Stattdessen mach ich Rock ’n’ Roll.“ Die Generation Praktikum sucht nach Alternativen, jetzt, da die Versprechen 2.0 nicht erfüllt werden. Ob aber ausgerechnet der abgehalfterte Rock ’n’ Roll und seine schale Rebellionshaltung die Rettung ist, das darf man doch bezweifeln.
Dass sie diese Realität längst akzeptiert haben, das merkt man jeder Sekunde von „Serpentine“ an, dem Debütalbum von Okou. Tatiana Heintz und Gilbert Trefzger spielen zwar keinen Rock, aber doch allerhand, was zu ihm führte. Das Banjo zitiert irische Folklore ebenso wie Americana, der Kontrabass tuckert sich durch Jazz-Harmonien, auch Blues und Soul haben ihre Auftritte. Ohne große Aufregungen, aber jederzeit stilsicher bedient sich das Duo in der Roots-Abteilung der Popgeschichte. Dazu singt sich die aus Westafrika stammende Heintz durch ihr beeindruckendes Stimmspektrum, das sie bereits Mick Jagger und Keziah Jones zur Verfügung stellen durfte. Diese Erfahrungen als Studiomusiker mögen der Grund sein, dass Okou vor allem eins bieten: solides Entertainment. Das allerdings soll durchaus als Lob verstanden werden. Denn Unterhaltung, so sie so abwechslungsreich und stimmungsvoll und mit so viel Liebe zum Handwerk aufgeführt wird wie in diesem Fall, sticht jederzeit jene hohle Pose aus, mit der sich die längst abgewirtschaftete Rockmusik bis heute zu schmücken pflegt. THOMAS WINKLER
■ Nachlader: „Koma Baby lebt!“ (BiongBoing/Rough Trade), Fr. Akustik-Show Kaffee Burger
■ Okou: „Serpentine“ (Wrasse/ Harmonia Mundi), Sa. LUX, So. (mit Hindi Zahra) Admiralspalast