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„Alles so voll Segen des Herrn“

■ Deutsche Dichter und ihr Fluß

Nirgends werden die Erinnerungen an das, was die Deutschen einst waren, und was sie sein könnten, so wach, als am Rheine. Der Anblick dieses königlichen Stromes muß jedes deutsche Herz mit Wehmut erfüllen. Wie er durch Felsen mit Riesenkraft in ungeheuerm Sturz herabfällt, dann mächtig seine breiten Wogen durch die fruchtreichsten Niederungen wälzt, um sich endlich in das flachere Land zu verlieren; so ist er das nur zu treue Bild unsers Vaterlandes, unsrer Geschichte und unsers Charakters.Friedrich Schlegel: Reise nach Frankreich Ich glaubte neugeboren zu werden über dem Anblick, der sich mir darstellte. Meine Gefühle erweiterten sich, mein Herz schlug mächtiger, mein Geist flog hin ins Unabsehliche - mein Auge staunte - ich wußte gar nimmer, was ich sah, und dastand ich - wie eine Bildsäule. Man denke sich, der majestätischruhige Rhein, so weit her, daß man die Schiffe kaum noch bemerkte - so weit hinaus, daß man ihn fast für eine blaue Wand ansehen könnte, und am gegenseitigen Ufer dicke, wilde Wälder - und über den Wäldern her die dämmernden Heidelberger Gebirge - und an der Seite hinab eine unermeßliche Ebene - und alles so voll Segen des Herrn.Friedrich Hölderlin: Reisetagebuch 1788 Von Mainz aus fuhr ich mit Ulriken auf dem Rheine nach Koblenz - Ach, das ist eine Gegend, wie ein Dichtertraum, und die üppigste Phantasie kann nichts Schöneres erdenken, als dieses Tal, das sich bald öffnet, bald schließt, bald blüht, bald öde ist, bald lacht, bald schreckt. Pfeilschnell strömt der Rhein heran von Mainz, als hätte er sein Ziel schon im Auge, als sollte ihn nichts abhalten, es zu erreichen, als wollte er es, ungeduldig, auf dem kürzesten Wege ereilen. Aber ein Rebenhügel (der Rheingau) beugt seinen stürmischen Lauf, sanft aber mit festem Sinn, wie eine Gattin den stürmischen Willen ihres Mannes, und zeigt ihm mit stiller Standhaftigkeit den Weg, der ihn ins Meer führen wird - Und er ehrt die edle Warnung und gibt sein voreiliges Ziel auf, und durchbricht, der freundlichen Weisung folgend, den Rebenhügel nicht, sondern umgeht ihn, mit beruhigtem Laufe seine blumigen Füße ihm küssend - Heinrich von Kleist: An Adolfine von Werdeck Die Flüsse, die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüsse, das sind die Liebschaften, so gehts immer fort bis zur letzten Station. Die Selz, die Nah, die Saar, die Mosel, die Nette, die Ahr; - nun kommen sie ihm vom Schwarzwald zugelaufen und von der rauhen Alp. - lauter Flußjungfern: die Elz, die Treisam, die Kinzig, die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus dem Odenwald und Melibokus herab haben sich ein paar allerliebste Flüßchen auf die Beine gemacht: die Wesnitz und die Schwarzbach; die sind so eilig: was giltst du, was hast du? - Dann führt ihm der Main ganz verschwiegen die Nid und die Krüftel zu; das verdaut er alles ganz ruhig und bleibt doch immer er selber... Bettina von Armin: Briefwechsel mit Goethe Mein Rhein ist der, den ich aus meiner frühesten Kindheit kenne: ein dunkler, schwermütiger Fluß, den ich immer gefürchtet und geliebt habe; drei Minuten nur von ihm entfernt bin ich geboren; ich konnte noch nicht sprechen, soeben laufen, da spielte ich schon an seinen Ufern: bis zu den Knien wateten wir im Laub der Alleebäume, suchten nach unseren Papierrädern, die wir dem Ostwind anvertraut hatten, der sie - zu schnell für unsere Kinderbeine - westwärts trieb, auf die alten Festungsgräben zu. Winter kam: Eisschollen, so groß wie Fußballplätze, weiß, mit einer hohen Schneeschicht bedeckt; still war der Rhein an diesen klaren Tagen; die einzigen Passagiere waren die Krähen, die sich von den Eisschollen in Richtung Holland treiben ließen, auf ihren riesigen, phantastisch eleganten Taxis ruhig dahinfahrend. Heinrich Böll: Undines geselliger Vater

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