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Alles ist heute ein Marathon. Klimarettung und Armutsbekämpfung brauchen tatsächlich einen laaaangen AtemLaufen, laufen, laufen. Besonders, wenn es wehtut

Wir retten die WeltVonBernhard Pötter

Die Botschaft war niederschmetternd, aber wahr: Wer die Welt retten will, muss leiden. Denn bei Kilometer 38 brennen die Füße, die Lunge pumpt, die Klimaanlage des Körpers brummt auf vollen Touren. Und dann hängt die Umweltministerin beim Berlin-Marathon auch noch ein Riesenplakat für die Joggerinnen und Jogger auf: „42 Kilometer ohne Auto“, stand da im letzten Jahr. „Ihr wisst, wie Klimaschutz läuft.“

Das Plakat ist wiederverwertbar. Und Marathon ist überall. Nicht nur in Berlin, wo am Sonntag 40.000 Klimaschützer den Verkehr lahmlegen werden. Sondern auch in New York, wo die UN sich treffen, um die Probleme der Welt zu lösen. Und im deutschen Parlament, das in neuer Weltrekordzeit den Pariser Klimavertrag abnickt. Ohnehin ist inzwischen alles ein „Marathon“, wenn die Problemlösung mehr als 20 Minuten dauert. Aber bei der Bekämpfung von Armut und Umweltzerstörung hat das Wort seine Berechtigung. Wenn die UN-Luftverkehrsorganisation 20 Jahre braucht, um halbgare Klimaziele zu formulieren, dann ist das ein Langstreckenflug.

Gerade wälzt sich nun auch der Klimadeal von Paris über die Startlinie. „Das ist, als ob man sich zu seinem ersten Marathon anmeldet“, schreibt US-Professor Dorrik Stow, „man fühlt sich gut dabei, aber dann realisiert man, dass man nicht vorbereitet ist, keinen Trainer hat und dass man trotzdem einen Weltrekord laufen will.“ Der Mann ist Direktor eines Instituts für Ölingenieure. Aber wo er recht hat, hat er recht.

Dieser Lauf wird hart. In Paris haben wir 2015 den Startschuss gehört. Wenn wir seine Etappen in Jahren statt in Kilometern angeben, landen wir nach 42 Jahren ziemlich genau dort, wo wir laut allen Experten hinmüssen: Das Ziel im Langstreckenlauf für Klimaschutz und Armutsbekämpfung liegt dann 2057.

Wer sich auf einen solchen Marathon einlasse, dürfe an nichts anderes mehr denken, schreibt der US-Aktivist und Journalist Bill McKibben. „Da darfst du kein Bier trinken, keine Trainingseinheit verpassen und musst früh ins Bett. Du musst laufen, selbst wenn es wehtut. Besonders, wenn es wehtut.“

Am Anfang ist natürlich alles easy. Gestartet wird mit großem Jubel, feierlicher Musik und prominenten Besuchern. Aber hinter der ersten Kurve bei Kilometer 1 (also nach einem Jahr) bleiben die ersten Helden schon mal stehen: Deutschland zum Beispiel zieht seinem „Klimaschutzplan 2050“ die Zähne. Bei km 7 geht den Nächsten die Puste aus: Seitenstechen in der Staublunge, weil polnische Kohlekumpel protestieren. Bei km 12 liegen die Kenianer und Äthiopier uneinholbar an der Spitze, weil sie gleich auf Windstrom setzen und nicht erst Kohlekraftwerke bauen, die sie dann abschalten müssen. Bei km 19 läuft Russland mal für ein paar Jahre zurück Richtung Startlinie, weil neue Ölquellen in der Arktis entdeckt werden. Bei der halben Distanz hat sich das Feld weit auseinandergezogen: Costa Rica ist bereits im Ziel der Klimaneutralität angekommen, andere tanken noch Braunkohle am Versorgungsstand bei Kilometer 5. Bei km 25 werden die Bananen knapp, weil die hohen Temperaturen in den Tropen den Pflanzen zusetzen. Km 31 bringt Schwindel: Nicolas Sarkozy, der sich in Frankreich zum siebten Mal als Präsident bewirbt, behauptet wie 2016, der Mensch sei unschuldig am Klimawandel. An der 34. Etappe wollen viele Läufer einfach nur stehen bleiben: Der „Mann mit dem Hammer“ bestraft diesmal diejenigen, die zu langsam gestartet sind und nicht trainiert waren. Bei km 38 ist allen alles egal: Deutschland zum Beispiel will neue AKWs gegen das Klimagift CO2 bauen. Eine neuronale Fehlleistung wegen akuter Unzurechnungsfähigkeit.

Nach 42 Jahren torkeln dann Staatschefs, Unternehmen, Städte, Umweltschützer und ganz normale Menschen ins 2-Grad-Ziel. Manche lächelnd und in guter Verfassung, viele sind gesünder als beim Start. Aber manche sehen auch aus wie Gespenster. Oder wie Pheidippides, der erste Marathonläufer. Der verkündete der Sage nach im antiken Griechenland zwar einen Sieg, brach aber im Ziel tot zusammen.

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