„Alles Gute, Ann Kathrin“

■ 33 Tage in Gefangenschaft: Die Chronologie der Reemtsma-Entführung

Freitag abend, 23.55 Uhr. Das Bangen hat ein Ende: Der Hamburger Millionenerbe Jan Philipp Reemtsma, 43, ist nach einer einmonatigen – streng geheimgehaltenen – Entführung von seinen Kidnappern in Hamburg-Maschen ausgesetzt worden. Er steuert das nächstliegende Wohnhaus an und ruft von dort aus seine Frau Ann Kathrin Scheerer an. Das glückliche Ende der wohl spektakulärsten Entführung, die es in Deutschland bisher gegeben hat.

Am Abend des 25. März wurde der Millionen-Erbe gegen 20.20 Uhr von seinem Elb-Anwesen in Blankenese entführt. Er wird nach einem Handgemenge von zwei maskierten Tätern überwältigt und mit verklebten Augen und Mund in einen PKW-Transporter mit ausländischem Nummernschild verschleppt. Gegen Mitternacht macht sich Ann Kathrin Scheerer auf die Suche, findet aber nur ein Schreiben der Entführer, auf dem als Drohgebärde eine scharfe Handgranate deponiert ist. Die Forderung der Kidnapper: 20 Millionen Mark Lösegeld in 1000 Mark-Scheinen. Und: Wenn Polizei und Medien eingeschaltet werden, stirbt Reemmtsma.

Trotz der eindeutigen Drohung informiert Ann Kathrin Scheerer nach einem Gespräch mit dem Anwalt der Familie, Johann Schwenn, noch in der Nacht die Polizei. Ein Führungsstab unter Vorsitz des „Dagobert“-Jägers Michael Daleki, 48, wird gebildet. Zwei Tage später geht ein Brief mit einem Foto des Entführten ein. Die Entführer fordern Ann Kathrin Scherer darin auf, über eine Morgenpost-Anzeige Zahlungsbereitschaft zu signalisieren. Der vereinbarte Code, unter dem von nun an täglich „Grußbotschaften“ in der kleinformatigen Boulevardzeitung erscheinen werden, lautet: „Alles Gute Ann Kathrin.“

Trotz Zahlungsbereitschaft scheitert die erste Lösegeldübergabe. Am Mittwoch, dem 3. April, fordert einer der Erpresser mit stark verzerrter Stimme Ann Kathrin Scherer telefonisch auf, zusammen mit Johann Schwenn einen Elektroverteilerkasten in Osdorf anzusteuern, wo eine neue Botschaft warte. Die lotst die beiden Geldboten über die Autobahn nach Maschen, wo das Geld aber nicht abgeholt wird. Möglicher Grund: Da die stimmverzerrte Botschaft erst entschlüsselt werden mußte und die Wegbeschreibung ungenau war, können Scheerer und Schwenn den von den Entführern vorgegebenen Zeitplan nicht einhalten.

Zudem mißtrauen die Kidnapper Johann Schwenn. Sie lotsen am 10. April Johann Schwenn über Umwege in das Hotel „Ibis“, wo sie den Anwalt anrufen und mit gezielten Fragen seine Identität überprüfen. Schwenn hat – unaufgefordert – das Lösegeld dabei, doch die Entführer verweigern die Annahme mit den Worten: „Wir lassen uns nicht drängen.“

Drei Tage später, am Samstag, dem 13. April, fordern die Kidnapper den Anwalt auf, sich mit dem Auto in Richtung Luxemburg zu begeben. Dort wird er – per Schnitzeljagd – zu einem Autobahnparkplatz in der Nähe von Trier geführt, wo er am Morgen des 14. April, punkt 3.20 Uhr die in einem weißen Leinensack verpackten – und chemisch präperierten – Millionen über einen 1,20 Meter hohen Maschendrahtzaun werfen soll und wirft.

Doch wieder holen die Reemtsma-Entführer das Geld nicht ab. Polizeisprecher Werner Jantosch sieht den Grund darin, „daß die Kidnapper Herrn Schwenn vermutlich noch immer nicht getraut haben, ihn wohlmöglich für einen unserer Beamten gehalten haben.“ Denn in einem erneuten Schreiben, das Ann Kathrin Scheerer am 17. April erreicht, fordern die Täter einen Austausch des Geldboten.

Zu diesem Zeitpunkt haben die Gangster bereits auf Vorschlag von Jan-Philipp Reemtsma Kontakt zu Christian Arndt und Lars Clausen aufgenommen – die Vorbereitungen für den dritten Übergabeversuch haben begonnen. M. Carini