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■ Allen europäischen Staaten gemeinsam ist der Wille, eine Festung Europa zu errichten nach dem Motto: Unter uns ist es doch am schönsten/ taz-KorrespondentInnen berichten über die Flüchtlingspraxis aus Stockholm, Paris, Dublin, Rom und Madrid„Wir müssen leider draußen bleiben...“

Finnland

Finnlands Mitte-Rechts-Regierung hat am Freitag einen Gesetzesentwurf zur Verschärfung des Asylrechts vorgelegt, der das Ausländerrecht des skandinavischen Landes zum strengsten Europas machen wird, wie Flüchtlingsorganisationen meinen. Eine Liste „sicherer“ Länder wird erstellt: Flüchtlinge aus diesen Ländern werden von der Grenzpolizei direkt ohne Einzelfallprüfung abgewiesen, eine gerichtliche Nachprüfung gibt es nicht. Flüchtlinge aus „nicht sicheren“ Ländern müssen ein Schnellverfahren passieren; die lokale Polizeibehörde entscheidet, ob die Asylgründe ausreichen. Für Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien gilt, bis auf weiteres, ein einjähriges Bleiberecht. Zudem soll eine Praxis sanktioniert werden, die der finnische Flüchtlingsrat (FRK) als menschenrechtswidrig brandmarkt: Asylsuchende können nach ihrer Ankunft bis zu drei Wochen in geschlossenen Lagern „in Verwahrung“ genommen werden. Weil diese Lager zur Zeit noch nicht existieren, landen Flüchtlinge in Polizeigewahrsam, bleiben dort 23 Stunden am Tag eingesperrt und haben eine Stunde bewachten Ausgang. Der FRK will vorm Menschengerichtshof dagegen eine Klage einreichen.

Das Asylrecht wird verschärft, obwohl Finnlands Flüchtlingszahlen im europäischen Vergleich lächerlich gering sind; nur 3000 Menschen suchten Zuflucht im letzten Jahr. Finnland empfindet diese 3000 deshalb als zu viele, weil man in den achtziger Jahren die Asylsuchenden, die sich ins Land verirrten, an den Fingern zweier Hände abzählen konnte. Die offeneren Grenzen zu Rußland und neue Fährlinien ins Baltikum haben nun auch das abseits liegende Finnland zum Ziel von Flüchtlingen gemacht. 1991 kamen sie vor allem aus Somalia. Mit billigen Aeroflot- Tickets strandeten sie in Moskau, und Finnland war das nächsterreichbare Asylland. In diesem Jahr kamen über Osteuropa die meisten Flüchtlinge aus den Balkanländern.Reinhard Wolff

Großbritannien

Großbritannien kennt weder eine schriftlich niedergelegte Verfassung noch ein Recht auf Asyl. Der Weg nach Großbritannien ist mit Hindernissen gepflastert. Wenn plötzlich ein „Flüchtlingsstrom“ aus einem bestimmten Land einsetzt, führt die britische Regierung kurzerhand die Visumspflicht für dieses Land ein. Jüngste Beispiele sind Uganda, die Türkei, Sri Lanka und Ex-Jugoslawien außer Kroatien und Slowenien. AsylbewerberInnen aus diesen Ländern dürfen sich jedoch auch kein Visum bei der britischen Botschaft besorgen, weil das den britischen Einwanderungsgesetzen widerspricht. Sie können höchstens ein Touristenvisum beantragen. Dieser Ausweg ist den bosnischen Flüchtlingen freilich versperrt: in Bosnien gibt es keine Botschaft und kein Konsulat. Beantragen sie in einem anderen Land ein Visum, haben sie ihre Chance verspielt, weil sie dann nach britischer Auffassung aus einem „sicheren Drittland“ kommen.

Nach dem neuen Asyl- und Einwanderungsgesetz, das dem Unterhaus Anfang des Monats zur zweiten Lesung vorgelegt wurde, müssen AsylbewerberInnen sofort bei ihrer Ankunft in Großbritannien den Antrag stellen und sämtliche Einzelheiten ihres Falles offenbaren. Die Flüchtlinge haben nur noch zwei Tage Zeit, um gegen einen Ablehnungsbescheid Widerspruch einzulegen.Ralf Sotscheck

Schweden

Schweden hat ein liberales Asylrecht – so das Prinzip und so immer noch die falsche Hoffnung in den Verfolgerstaaten. Das Prinzip ist nämlich lange schon nur noch dann der Maßstab, wenn sich die Asylzahlen in Grenzen halten. Kommen mehr als Hundert am Tag mit den Fähren aus Polen oder Deutschland, dauert es nicht lange, bis „unumgängliche“ Maßnahmen getroffen werden. Der Erfindungsreichtum ist durchaus bewundernswert. Da wird im richtigen Augenblick ein 38 Jahre altes Regierungsabkommen mit der Bundesrepublik gefunden, um Flüchtlinge aus Bosnien gleich mit der nächsten Fähre nach Trelleborg und Rostock zurückschicken zu können. Da wird Polen ungefragt zum „sicheren“ Asylland ernannt und Visumzwang für eine nationale Minderheit (Kosovo-Albaner) aus einem Land (Mazedonien) eingeführt, in dem es überhaupt keine schwedische Auslandsvertretung gibt.

Man kann schließlich – so ein Hauptargument – nicht liberaler als Deutschland und Resteuropa sein, wolle man nicht von einer „Flut“ überrollt werden. In Vorwegnahme einer in Stockholm eröffneten EG-restriktiven Flüchtlingspolitik sollen zunächst neue Rechtsprinzipien gelten: die Genfer Konvention und sonst gar nichts. Gerade zehn bis 15 Prozent der gegenwärtig in Schweden ankommenden Flüchtlinge fallen nach Berechnungen des Einwandereramtes in diese Kategorie. Statt der 75.000, die gegenwärtig in Massenunterkünften auf ihre Asylentscheidung warten, würden dann vielleicht 5.000 pro Jahr das Recht haben, überhaupt ins Land hineingelassen zu werden. Andere, und hierunter würden beispielsweise alle Flüchtlings-„Ströme“ aus Ex-Jugoslawien fallen, müßten ein Visum bantragen, kämen auf eine Liste und würden nach bestimmten, je nach Bedarf und Aufnahmekapazität von einer Regierung frei festzulegenden Quoten ins Land tröpfeln können.

Unterdessen wird großzügig abgeschoben, Visumpflicht eingeführt, die Sozialhilfe wurde von 79 auf 69 Kronen (18 DM) pro Tag für SelbstversorgerInnen gekürzt, humanitäre Hilfen gestrichen und nun vermutlich bald auf eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen durch die Genfer Konvention gesetzt. Eine dem Artikel 16 des Grundgesetzes vergleichbare Verfassungsbestimmung fehlt — was die unmerkliche Anpassung des Rechts an die Praxis und der Praxis an die Flüchtlingszahlen ungemein erleichtert.Reinhard Wolff

Frankreich

Die Beamten des französischen „Amts zum Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen“ (OFPRA) müssen Asylanträge im Schnellverfahren behandeln. 52 Tage dauert es im Schnitt, bis der Bewerber weiß, ob er als Flüchtling anerkannt wird. Geht er in die Berufung, verlängert sich das Verfahren um vier Monate. Dabei ist die Zahl der Asylanträge im Vergleich zu Deutschland gering. 1991 hatten 50.000 Menschen diesen Schutz erbeten, die meisten von ihnen stammen aus der Türkei, aus Zaire, Sri- Lanka, Mali und China. Von den behandelten Anträgen wurden 80 Prozent abgelehnt. Von Januar bis Oktober 1992 nahm das OFPRA nur 22.661 Anträge entgegen.

Die Eile soll verhindern, was lange Zeit die Regel war: Die Asylbewerber warteten jahrelang auf ihren Bescheid, unterdessen schlugen sie Wurzeln und konnten dann — trotz eines ablehnenden Bescheids — aus humanitären Gründen kaum noch ausgewiesen werden. Zwischen 60.000 und 100.000 abgelehnte Asylbewerber leben schätzungsweise illegal in Frankreich. Mehrere Vereine zum Schutz des Asylrechts beklagen, das OFPRA verfahre bei seinen neuen „Hochgeschwindigkeits- Prozeduren“ zu summarisch. Nur 27 Prozent der Bewerber wurden 1991 persönlich gehört, über die übrigen entschied das Dossier.

Die französische Verfassung hat das Asylrecht in ihrer Präambel verankert, allerdings in sehr restriktiver Form: „Jeder Mensch, der wegen seines Handelns zugunsten der Freiheit verfolgt wird, hat das Recht auf Asyl auf dem Boden der Republik.“ Damit öffnet das Land lediglich politischen Freiheitskämpfern die Tür. Das OFPRA verfährt allerdings nach der Genfer Flüchtlingskonvention. In Frankreich leben rund 200.000 anerkannte Flüchtlinge.

Neben der Beschleunigung der Asylverfahren hat die Regierung in letzter Zeit weitere abschreckende Maßnahmen ergriffen. Asylbewerber dürfen nicht mehr arbeiten, Durchreisende benötigen seit kurzem Transitvisa. Die Fluggesellschaften müssen sicherstellen, daß ihre Passagiere alle nötigen Papiere besitzen, andernfalls drohen ihnen Geldbußen.Bettina Kaps

Italien

Die vor vier Jahren als „europaweit erstes, durchdachtes und handhabbares Immigrationsgesetz“ gefeierte Legge Martelli sollte die Zuwanderung „kanalisieren“, illegale Einreise verhindern und den regulär Aufgenommenen ein menschenwürdiges Leben verschaffen. So erhielt jeder Illegale, der sich innerhalb einer gewissen Zeit meldete, ein Bleiberecht, bekam sogar einen Anspruch auf Sozialwohnung.

Alles Makulatur, darüber sind sich Statistiker, Soziologen und Politiker einig. Aus Angst, nach regulärer Anmeldung das wenige Verdiente versteuern zu müssen und durch festen Wohnsitz behördengreifbar zu sein, haben sich von den anderthalb Millionen illegal Zugewanderten bis zum Stichtag vor zwei Jahren nur knappe 400.000 gemeldet.

So griffen die Behörden lieber zum zweiten Teil des Martelli-Gesetzes: dem mit den Sanktionen. Spektakulärster Fall: die zehntausenden Albaner, die zuerst ins Stadion von Bari gesperrt und dann zurückexpediert wurden. Wer aufmuckte, kam ins Gefängnis.

Die Zuwanderungswilligen haben daraus gelernt: Da man regulär nicht herein darf, muß man es heimlich tun. Seitdem ergießen sich zwar keine Menschenmengen mehr ins Land, die spektakulär aus überladenen Fähren herausdrängen, wohl aber setzen regelmäßig Fischkutter nachts Immigranten ab, betreiben Menschenschieber ihr Geschäft wie vordem über die ehemalige jugoslawische Grenze. „Das Geschäft hat die Einwanderung nicht geregelt, sondern noch mehr in den Untergrund getrieben“, sagt Giorgio La Malfa von der Republikanischen Partei.

Die Behörden sehen tatenlos zu; nur wer auffällig wird, fliegt raus. Wer dann dennoch wiederkommt, kann meist mit Milde rechnen, solange er nicht wieder etwas anstellt. Nach einer Umfrage von L'Espresso sieht sich Italien, trotz der vielen „Illegalen“, nicht als Einwanderungsland: man ist gewohnt, daß die Fremden nur während der Saison bleiben und dann wieder nach Hause fahren.Werner Raith

Irland

„Die Bevölkerung hat phantastisch auf die bosnischen Flüchtlinge reagiert“, sagt Ray Walker von der staatlichen irischen Flüchtlingsagentur. „Wir haben in den vergangenen Wochen Anrufe aus dem ganzen Land erhalten. Die Leute wollten die Bosnier zum Fußball oder zu Schachturnieren einladen, manche haben ihnen sogar ein kostenloses Wochenende im Hotel angeboten.“ Spannungen zwischen Flüchtlingen und Bevölkerung bestünden nicht, sagt Walker. Das liege zum einen daran, daß die BosnierInnen in einem Flügel des abgelegenen Krankenhauses Cherry Orchard untergebracht sind, und zum anderen, daß ihre Zahl äußerst gering ist: Die irische Regierung hat sich bereiterklärt, 200 AsylbewerberInnen aufzunehmen. Bisher sind jedoch erst 178 eingetroffen – mehr wollten nicht nach Irland.

Ein Recht auf Asyl ist in der irischen Verfassung nicht vorgesehen. Das irische Justizministerium entscheidet darüber von Fall zu Fall. Der bisher einzige Fall liegt jedoch schon 13 Jahre zurück; damals wurden 212 VietnamesInnen aufgenommen. Inzwischen ist ihre Zahl aufgrund nachgereister Verwandter auf 448 angestiegen. Den VietnamesInnen wurde – ebenso wie den BosnierInnen – der volle Flüchtlingsstatus verwehrt, sie erhielten lediglich ein Touristenvisum. Das heißt nach irischem Recht, daß sie keine irische Staatsbürgerschaft beantragen können. Dennoch geht man davon aus, daß die meisten für immer in Irland bleiben werden. Die Flüchtlingsagentur hat anfangs Sprach- und Bildungsprogramme für die vietnamesischen Flüchtlinge organisiert. Später vermittelten die Bezirksverwaltungen ihnen Wohnungen und Arbeitsplätze. „Bei den bosnischen Flüchtlingen ist das nicht mehr so einfach“, sagt Walker. „Die Wirtschaftslage hat sich geändert, die Verwaltungen haben kein Geld mehr. Jetzt bleibt alles an uns hängen.“Ralf Sotscheck

Spanien

Der spanische Ministerrat hat Anfang November einen Gesetzesvorschlag verabschiedet, der das 1984 ratifizierte „Gesetz zu Asyl und Zufluchtsstätte“ der europäischen Rechtsprechung angleicht. Der Gesetzesvorschlag muß das Parlament passieren, ehe er rechtsgültig wird. Dort sind jedoch keine größeren Auseinandersetzungen zu erwarten.

Das noch gültige Gesetz sieht sowohl den Antrag auf Asyl als auch den auf Zuflucht vor. Asyl kann nicht nur von politisch Verfolgten, sondern auch von politischen Straftätern (mit Ausnahme von Vergehen gegen den Frieden oder die Menschheit) beantragt werden. Asyl wird von der spanischen Regierung gewährt, es besteht kein Anrecht darauf. Wem Asyl gewährt wird, erhält eine Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung sowie Personalpapiere. Wer an der Grenze Asyl beantragt, darf in spanisches Hoheitsgebiet einreisen und sich bei einer Asylverweigerung bis zum Ende eines Einspruchverfahrens hier aufhalten. Asyl, das aus humanitären Gründen gewährt wird, führt nur zu einer sechsmonatigen Aufenthaltserlaubnis. Wer auf Dauer in Spanien bleiben möchte, muß das begründen.

Der Status des Flüchtlings wird im Gesetz von 1984 nur durch die Genfer Flüchtlingskonvention definiert und beinhaltet nicht automatisch eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.

Im nun vorgelegten Gesetzesvorschlag wird die Figur des Asylbewerbers in Angleichung an das Schengener Abkommen durch die des Flüchtlings ersetzt. Die Gewährung des Asyls beinhaltet Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Anders als bisher kann mit dem neuen Gesetz ein Flüchtling nach einem Schnellverfahren bereits an der Grenze abgewiesen werden, wenn in seinem Herkunftsland nach offizieller Lesart keine politische Verfolgung stattfindet. Er kann innerhalb von 24 Stunden Einspruch anmelden, über den innerhalb von 48 Stunden beschieden wird. Gegen eine Abschiebung kann vor einem Richter Einspruch erhoben werden.

Spanien ist kein Asylland; in diesem Jahr haben nur 12.000 Menschen Asyl beantragt. Während früher Anträge im Durchschnitt mehr als ein Jahr bearbeitet wurden, brauchen die Behörden in jüngster Zeit nur noch mehrere Monate. Währenddessen verfügen die Asylbewerber über keine Arbeitserlaubnis und nur in ganz wenigen Fällen über staatliche Zuwendungen. Nach offiziellen Angaben werden 94 Prozent aller Anträge abschlägig beschieden, da sie „offenkundig wirtschaftlich begründet“ seien. Die meisten Asylbewerber kommen aus Peru, Polen und der Dominikanischen Republik. Antje Bauer

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