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Alleine verreisenDas Geheimnis der einsamen Frauen

Um eine Reisegefährtin zu finden, traf ich mich mit zwölf Frauen, die ich über Facebook kennengelernt hatte. Und lernte etwas über Kompromisse.

Urlaub an der Ostsee oder doch lieber All Inclusive auf Mallorca? Wenn Vorstellungen aufeinandertreffen Foto: Guenter Nowack/penofoto/imago

N eue Leute kennenlernen mit 68! Nicht so einfach. Kürzlich, mit lauter fremden Frauen in einer Pizzeria in Berlin-Lichterfelde, kam ich zu einer Einsicht, mit der ich mich auf einen Erkenntnis-Preis hätte bewerben können in der gerade zu Ende gegangenen Aktionswoche „Gemeinsam gegen die Einsamkeit“ der Bundesregierung.

Ich saß beim Italiener mit zwölf Frauen, die ich über eine Facebook-Gruppe kennengelernt hatte. Es waren Damen, die Reisegefährtinnen suchten. Das tat ich auch. Mir schwebte vor, zwischendurch mal für drei Tage mit dem IC an die Ostsee zu fahren, mich in einem Hotel in Strandnähe einzumieten, tagsüber am Meer spazieren zu gehen, ein paar Muscheln zu zeichnen und am Abend zwei, drei lustige Rentnerinnen zum Dinner zu treffen, um jemanden zum Plaudern zu haben und nicht alleine essen zu müssen.

Mein Mann hat kein Interesse an der Ostsee, Freundin K. ist leider zu krank zum Reisen, Silke hat mir nach 40 Jahren die Freundschaft gekündigt, weil ich sie angeblich „zutiefst gekränkt“ habe (O-Ton Silke, sie ist übrigens eine Alpha-Bitch), und Hille fährt nur in die Berge. Also kam ich zur Gruppe.

Im Mai passt mir eigentlich nicht

Wir stellen uns mit Vornamen vor, die Frauen machen einen netten Eindruck und sind nicht zu jung. Ich bestelle eine Pizza Diavolo. Irgendwann bin ich dran und bringe mein Anliegen zur Sprache. Alle nicken. „Die Ostsee ist schon toll“, sagt eine, „also mit dem Camper ist das eine tolle Sache, nur muss das Wetter mitspielen.“

„Eine große Ferienwohnung wäre gut, kommt für den Einzelnen auch billiger“, sagt eine Zweite. Ferienwohnung? Ich wollte die Damen nur am Abend treffen, nicht unbedingt mit ihnen gemeinsam frühstücken und erst recht nicht zusammen kochen müssen. „Mit dem Deutschlandticket kann man am Morgen zur Ostsee hin- und am Abend wieder zurückfahren“, meint eine Dritte. Volle Regios! Der pure Stress.

„Ich zeichne auch“, sagt eine Vierte, „ich könnte aber nur im Mai.“ Sie wirkt sympathisch. Aber mit einer Unbekannten allein in Kurzurlaub fahren? Was ist, wenn wir uns nichts zu sagen haben? Wahrscheinlich ist sie eine super Zeichnerin. Ich bin blutige Anfängerin. Und Mai passt mir eigentlich nicht.

Bis dann mal

Es stellt sich heraus, dass fast jede hier eine andere Lieblingsreise im Kopf hat. Eine will auf die Seychellen, eine andere lieber einen All-inclusive-Urlaub auf Mallorca. Eine will campen im Voralpenland, eine liebt Städtereisen. Nach zweieinhalb Stunden verabschiede ich mich freundlich. Bis dann mal.

„Man muss offen sein für Neues und bereit sein für Kompromisse“, hat mir mal ein Altersforscher gesagt, „die meisten Älteren springen ab, wenn nicht alles genau so ist, wie sie sich das vorstellen. Individualisierung macht einsam. Das ist das Geheimnis der Einsamkeit, über das niemand spricht.“ Es stimmt ja: Wer neue Leute kennenlernen will, muss gerne zuhören, wenn es um deren Lebensgeschichte, deren Eheprobleme, Stress mit den Freundinnen, Krankheiten geht. Man muss bereit sein, auch mal dann zusammen zu essen, wenn man in diesem Moment lieber alleine wäre.

Vielleicht rufe ich Silke doch mal wieder an. Sie hat doch immer von der Ostsee geschwärmt. Ich könnte natürlich auch einfach allein ans Meer fahren. Aber so allein an der Ostsee? Ich könnte mich einsam fühlen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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6 Kommentare

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  • Allein an die Ostsee reisen? Kann ich sehr empfehlen! Und nicht nur an die Ostsee... Ins Gespräch mit netten Menschen kommt man/frau auch unterwegs bei Bedarf, ansonsten ist das die Zeit für Ruhe, Gedanken sortieren, neue Eindrücke, analog statt digital... Versuchen Sie's, liebe Barbara Dribbusch. Und wenn's gar zu einsam wird: der IC fährt täglich...

  • Ich finde es gar nicht so schlimm alleine zu verreisen, fühle mich dabei nur selten einsam. Eine Woche halte ich es ganz gut aus, war erst kürzlich mit dem Rad in der Lausitz unterwegs. Oft bin ich die letzten Jahre gemeinsam mit meiner Freundin unterwegs gewesen, aber die hatte auch nicht immer Zeit. Mittlerweile hat sie ein Wohnmobil, ich will aber ins Hotel, also passt es auch nicht mehr so gut.



    Habe auch versucht Begleitung (weiblich oder männlich) zu finden, hat aber bis jetzt noch nicht gepasst.



    Ich glaube auch nicht, dass es mir als Mann leichter fällt alleine zu Reisen, auf meinen Radtouren traf ich auch immer wieder alleine reisende Frauen.

    • @celcon52:

      …anschließe mich - Jungspund - 🙀🥳🤣



      Näheres bei Kurt Vonnegut -



      God Bless You, Dr. Kevorkian -



      (…ok einer mehr aber - er ist ein Mann!;)



      Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt. Das "größte Schlitzohr der amerikanischen Literatur" (Frankfurter Rundschau) berichtet den Zuhörern eines New Yorker Radiosenders regelmäßig über seine Gespräche mit Verstorbenen. …

      Der titelgebende Dr. Kevorkian, so die Rezensentin mit dem Kürzel "maid", ist in Wirklichkeit ein amerikanischer Arzt, der wegen mehrfacher Sterbehilfe im Gefängnis sitzt. Bei Kurt Vonnegut werde Kevorkian zu "Dr. Death", einer Art "Reiseleiter für wissenschaftlich überwachte Ausflüge ins Jenseits", und verabreiche dem Schriftsteller Spritzen, die ihm "kontrollierte Nahtod-Erfahrungen" ermöglichen. Dadurch, so "maid", konnte sich Vonnegut an den Himmelspforten mit einigen berühmten Verstorbenen unterhalten (und damit den "post-mortem-Journalismus" begründen) und hat den Rundfunksender WNYC mit den so gewonnenen Interviews beliefert. Adolf Hitler, zum Beispiel, wünsche sich "ein bescheidenes Denkmal", auf dem die beiden deutschen Worte "Entschuldigen Sie" stehen sollen. "Noch Fragen?", fragt ihrerseits "maid". "Lesen!"

  • hi barbara, was ist schlecht an einsamkeit? bin selbst mittlerweile 76 (immer politisch links aktiv) + fahre seit zig-jahren allein in urlaub. ostsee: kann ich jurmala, die bäderstadt von riga empfehlen, auch tallin.



    nordsee: amrum, fahre mittlerweile jährlich hin.



    es ist beschaulich, allein zu reisen. was gibts gegen alleinessen einzuwenden? das mögliche einsamkeitsgefühlt?



    vita activa braucht auch vita contemplativa: beobachten, raten, schlußfolgern, wer die andren sind, die im restaurant essen. alleine ist frau nie. es ergeben sich oft tolle gespräche - wie auf zugreisen.



    in einem hotel auf amrum kenne ich nun die lebensgeschichten der besitzerInnen, des personals; geriet auch in eine kneipe, wo's personal nach der arbeit hingeht.



    läuft mir fatih akino über die füße, der garde auf amrum die story von hark bohm am drehen ist - personal vom hotel weiß nur z. t., wer er ist, weil die jungen halt nur tiktokken+so.



    während chefkellner fatih kennt+auch andere nordeutsche regisseure.



    neuer direktor des weiteren 1.hauses ist türke + einfach klasse, sich mit dem zu unterhalten. man läuft sich ständig übern weg, man kennt sich mittlerweile, nimmt anteil. probiers doch einfach mal ...

    • @Brot&Rosen:

      hieranschließe mich - Jungspund - 🙀🥳🤣

      Näheres bei Kurt Vonnegut -

      God Bless You, Dr. Kevorkian -

      (…ok einer mehr aber - er ist ein Mann!;)

      Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt. Das "größte Schlitzohr der amerikanischen Literatur" (Frankfurter Rundschau) berichtet den Zuhörern eines New Yorker Radiosenders regelmäßig über seine Gespräche mit Verstorbenen. …



      Der titelgebende Dr. Kevorkian, so die Rezensentin mit dem Kürzel "maid", ist in Wirklichkeit ein amerikanischer Arzt, der wegen mehrfacher Sterbehilfe im Gefängnis sitzt. Bei Kurt Vonnegut werde Kevorkian zu "Dr. Death", einer Art "Reiseleiter für wissenschaftlich überwachte Ausflüge ins Jenseits", und verabreiche dem Schriftsteller Spritzen, die ihm "kontrollierte Nahtod-Erfahrungen" ermöglichen. Dadurch, so "maid", konnte sich Vonnegut an den Himmelspforten mit einigen berühmten Verstorbenen unterhalten (und damit den "post-mortem-Journalismus" begründen) und hat den Rundfunksender WNYC mit den so gewonnenen Interviews beliefert. Adolf Hitler, zum Beispiel, wünsche sich "ein bescheidenes Denkmal", auf dem die beiden deutschen Worte "Entschuldigen Sie" stehen sollen. "Noch Fragen?", fragt ihrerseits "maid". "Lesen!"

  • Ich mache diese Kompromisse. Fahre mit dem Nähkurs in die Türkei zur Städtereise, auch wenn ich lieber Badeurlaub mache. Mit der Nachbarin nach Mallorca, auch wenn ich lieber zu einer anderen Jahreszeit fahren würde, Mit ner Reisegruppe nach Kambodscha auch wenn man nicht weiß, wer da mitfährt. Wenn man sich von Anfang an im Klaren darüber ist, dass man Kompromisse eingehen muss, hat man meist mehr Spaß, als wenn man glaubt, man habe das Optimum geplant.