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■ Alle Staaten Ex-Jugoslawiens in die Europäische Union?EU: Außenpolitik dringend gesucht

Die wirtschaftliche Integrationskraft der Europäischen Union auszunützen, um politische Weichenstellungen für eine friedliche und demokratische Zukunft in Europa zu erreichen, ist wohl einer der am wenigsten umstrittenen politischen Grundsätze in Deutschland. Es ist gleichwohl eine Tatsache, daß der Aufnahme von Staaten in die Europäische Union langwierige Verhandlungen vorausgehen müssen. Und dabei spielen nicht nur wirtschaftliche Probleme sowohl für die Union wie auch für die Aufnahmeländer eine große Rolle, sondern auch politische Grundsatzfragen.

Die Europäische Gemeinschaft war nämlich in der Vergangenheit gut beraten, die Hürden für die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten hoch aufzubauen. Damit sollten in bezug auf die Entwicklung des politischen Systems von manchen Aufnahmeländern Weichenstellungen in Richtung Demokratisierung erzwungen werden. So gelang es zum Beispiel in den sechziger und siebziger Jahren im Zuge der Verhandlungen mit den damaligen Aufnahmeländern Spanien, Portugal und Griechenland, sowohl mit wirtschaftlichen Anreizen wie auch mit politischen Forderungen die Demokratisierung dieser Staaten zu beschleunigen.

Die Grundfrage, wie demokratische Entwicklungen durch die Integration in eine Wirtschaftsgemeinschaft beschleunigt und stabilisiert werden können, ist heute aktueller denn je. Dabei geht es nicht nur um die Unterstützung der langwierigen Transformationsprozesse in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Mit dem Aufkommen rotbrauner, aggressiver und militärisch aktiver Strömungen in ehemaligen realsozialistischen Ländern, insbesondere in Rußland und auf dem Balkan, liegt die Versuchung nahe, den entsprechenden Bevölkerungen die Perspektive „Europäische Gemeinschaft“ als Alternative zu der gefährlichen Politik ihrer Führungen schmackhaft zu machen.

Das Versprechen der Aufnahme in die EU kann jedoch kein politisches Allheilmittel sein. Der inflationäre Umgang mit Aufnahmeforderungen trägt die Gefahr in sich, die Instrumentarien für eine langfristige Weichenstellung ohne Not zu entwerten. Sicherlich ist es wünschenswert, wenn Staaten wie Tschechien, Polen oder Ungarn, in denen demokratische Entwicklungen unumkehrbar verankert scheinen, ein faires Angebot der schrittweisen Integration in die Europäische Union vorgelegt bekommen. Und wenn auch anderen Ländern wie der Slowakei, Rumänien, den baltischen Staaten, Bulgarien oder der Ukraine eine langfristige Perspektive geboten wird, ist dies nur zu begrüßen.

Das Angebot jedoch auf Staaten auszudehnen, in denen aggressive Regime etabliert sind, die durch Krieg die Veränderung von Grenzen erzwingen wollen, die durch die Vertreibung von Millionen von Menschen und die Ermordung Hunderttausender die elementarsten Grundsätze des Völkerrechts verletzen, ist unvertretbar. Genau dies fordert aber Andreas Zumach, wenn er in der taz vom 2. 2. 1995 vorschlägt, die restjugoslawischen Republiken (Serbien und Montenegro) in die EU aufzunehmen. Er tut dies in der vagen Hoffnung, damit würde quasi automatisch ein zivilisatorischer Prozeß eingeleitet. Ohne Not wären damit gerade die Instrumentarien preisgegeben, die zur Ausübung von Druck im Sinne der Veränderung der politischen Strukturen vonnöten sind.

Davon abgesehen, daß diese Überlegung wohl wenig Aussichten haben wird, umgesetzt zu werden, stellt sich doch die Frage, aus welchem Grund solche Gedankengänge gerade jetzt formuliert werden. In dieser Überlegung steckt sicherlich die Erkenntnis, daß die von den internationalen Organisationen gemachten Anstrengungen zur Befriedung des „Konflikts“ im ehemaligen Jugoslawien nicht ausreichen, weil die Instrumentarien für die Beendigung der Kriege auf dem Balkan oder gar im Kaukasus nicht zur Verfügung stehen. Und vielleicht schwingt dabei sogar die Erkenntnis mit, daß es am politischen Willen in Europa fehlt, die Herausforderung, die durch einen Aggressionskrieg ausgelöst worden ist, auch anzunehmen.

Keineswegs wird im Rahmen einer solchen Forderung jedoch bedacht, daß mit ihr die bisherige, gescheiterte Strategie lediglich mit anderen Mitteln fortgesetzt werden würde. Die Strategie nämlich, ungleiche Kontrahenten als gleiche zu behandeln. Überfallene und Aggressoren auf eine Stufe zu stellen hatte ja bisher lediglich zum Resultat, die Aggressoren auch noch zu belohnen. Allen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien die Aufnahme in die EU in Aussicht zu stellen, setzte nicht nur jene den Krieg befördernde unglückliche Tradition fort, sie bestärkte sie sogar. Kein Wunder, daß eine solche Forderung „bei serbischen Gesprächspartnern“ Beifall findet.

So billig jedoch wird die Europäische Union ihre bisherigen Prinzipien nicht verkaufen können. Zwar scheint sich auch nicht eine gemeinsame Strategie in der EU herauszuschälen, die jene Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien belohnt, die versuchen, sich sowohl ökonomisch wie politisch Europa anzunähern. Was spräche denn auch dagegen, Slowenien und Makedonien schon jetzt näher an die EU zu führen? Anstatt global alle Nachfolgestaaten gleichberechtigt zu behandeln, sollte sichtbarer als bisher selektiv vorgegangen werden.

Solange Serbien und Montenegro die Grenzen der Nachfolgestaaten Jugoslawiens nicht anerkennen, sind – gemessen an den bisherigen Standards – Verhandlungen über eine Integration in das europäische Wirtschaftssystem wohl weiterhin ausgeschlossen. Würde diese Voraussetzung erfüllt, ergäben sich weitere Probleme: Denn die Rechte der Albaner im Kosovo, die der Muslime im Sandzak und die der Ungarn in der Vojvodina sind zumindest mit ähnlichen Kriterien zu behandeln wie die der Serben in Kroatien. Was Kroatien betrifft, so war der bisherige Druck von seiten einiger Länder der EU, die Führung in Zagreb davon abzuhalten, die Westherzegowina ganz offen zu annektieren und damit Bosnien endgültig aufzuteilen, durchaus erfolgreich. Die Wirtschaftshilfe mit Forderungen der Wahrung demokratischer Grundrechte zu verknüpfen hat in Kroatien erste Erfolge gebracht. Restbosnien hingegen braucht statt nur humanitärer echte Wirtschaftshilfe. Der Wiederaufbau Bosniens und von Teilen Kroatiens müßte – sozusagen als Wiedergutmachung für das Versagen der EU gegenüber dem Krieg – zu einem der großen Projekte der EU-Außenpolitik werden.

Wenn die EU an die eigene Tradition der Anfangszeit anknüpft und bei der Förderung wirtschaftlicher Integrationsprozesse die demokratischen Impulse voranstellt, könnte sie doch Weichen für eine friedlichere Zukunft in Europa stellen. Erich Rathfelder

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