: Alkoholismus ist eine Beziehungskrankheit
■ betr.: „Kreativität und Suff, da ist was dran“, taz vom 17. 1. 96
Gleich zu Beginn des Artikels erfahren wir, daß es kein Wunder ist, wenn der Autor trinkt: Er ist ja Journalist. Solcherart Märchen werden oft verbreitet. Dabei ist längst bekannt, daß in allen Berufszweigen getrunken wir, quer durch die Schichten, und daß der Anteil der AlkoholikerInnen bei zirka fünf bis sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung liegt.
Der Autor ergießt sich auf zwei langen Seiten über allerhand Nebensächlichkeiten, bis dann die Worte kommen: „Du säufst allein, ohne andere zu belasten, also hörst du auch damit auf, ohne andere zu belasten. Ich habe mir das eingebrockt, ich löffle das aus.“
Wer hat dem Mann nur diesen Ehrenkodex eingetrichtert, warum muß er weiterhin den Helden spielen? Dabei ist längst bekannt, daß Alkoholismus eine Krankheit ist. Zum Krankheitsbild des Alkoholismus gehört auch – das wird im Artikel besonders deutlich –, daß AlkoholikerInnen ein Riesenproblem damit haben, sich helfen zu lassen, ihre Bedürftigkeit zu akzeptieren. Eher krepier ich allein, als daß ich mir Hilfe hole. Oder anders gesagt: Strafe muß sein, ich hab' ja auch allein getrunken. Damit gibt der Autor sich selbst nochmal die Peitsche, wie auch weite Teile des Artikels von der Lust am Untergang bestimmt werden. [...]
Weiter erfahren wir: „Ich will nicht trocken sein, ich will wieder „gesund“, wieder „normal“ werden. Trocken heißt für mich nicht gesund, sondern gehfähig.“ Was meint er eigentlich mit gesund und normal? Normal und gesund wieder trinken können? Kann er sich abschminken! Wenn der Autor Alkoholiker ist – und das hat er nach diesem Eigenbericht deutlich gemacht – wird er zu 99 Prozent nie wieder auf Dauer kontrolliert trinken können. Gesund wird er nie wieder werden, da er Alkoholiker bleibt, egal ob naß oder trocken.
Es stimmt: Trocken leben macht Alkoholiker wieder gehfähig, dafür gibt's Millionen Beispiele, die diesen Weg bereits gegangen sind und noch gehen.
Es wird aber nicht reichen, nur trocken zu sein. Trockenheit ist nur die Startbasis für ein neues Leben. Dazu gehört, daß sich der Alkoholiker ändert, sonst wird er eines Tages wieder trinken wollen, müssen. Allerdings wissen die meisten Alkis zu Beginn ihrer Trockenheit überhaupt nicht, was sie ändern sollen, können, müssen. Dafür brauchen sie die anderen Alkis, die schon länger auf dem Weg sind (Selbsthilfegruppen). Davon hält der Autor allerdings auch nichts (... kennt er bis zum Überdruß).
Das paßt auch zum Krankheitsbild des Alkoholikers, dieser Größenwahn, diese Selbstverliebtheit, diese Nabelschau, dieser Narzißmus, der mir sagt: Ich brauche die anderen nicht. Alkoholismus ist im Kern eine Beziehungskrankheit und wird in führenden Suchtkliniken in Deutschland auch so behandelt.
Mir bleibt am Schluß die Frage: Warum schreibt der Autor so viele Zeilen, wenn er eh keine Hilfe haben will? Meine Vermutung: Er braucht das Zeilenhonorar um zu Shell zu fahren – nachtanken. Peter, trockener Alkoholiker
und bereit, den Autor näher
kennenzulernen
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