Alkohol im Nahverkehr: Fahrgäste werden weitertrinken
Berlins Verkehrsverbund will ein gesetzliches Trinkverbot in Bus und Bahn, doch die Politik winkt ab.
Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) fordert ein gesetzliches Verbot von Alkoholkonsum auf Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Außerdem soll der Rauswurf von Betrunkenen aus Bus und Bahn gesetzlich verankert werden. Alkoholkonsum im öffentlichen Verkehr sei zum Problem geworden, weil Fahrgäste sich durch betrunkene Mitfahrer zunehmend verunsichert fühlen, sagte eine Sprecherin von VBB-Geschäftsführer, Hans-Werner Franz, am Montag der taz. "Wissenschaftliche Umfragen" hätten ergeben, dass rund 30 Prozent der Fahrgäste sich durch alkoholisierte Passagiere in Bus und Bahn bedroht fühlten.
Anlass für die Forderung ist offenbar eine Neuregelung in Hamburg. Dort beschloss das örtliche Verkehrsunternehmen ein vollständiges Alkoholverbot in Bus und Bahn, gültig ab 1. September. In Berlin sei Essen und Trinken laut Beförderungsbedingungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) allerdings ohnehin verboten, erklärt Sprecherin Petra Reetz.
Gewalt geht zurück
Zudem steht dem vom VBB ermittelten subjektiven Unsicherheitsgefühl die Statistik entgegen: So verzeichnete die Polizei zuletzt sogar einen leichten Rückgang der Gewalt. 2010 wurden rund 4.500 Fälle von Körperverletzung im öffentlichen Nahverkehr registriert, das sind etwa 150 weniger als 2009. Entsprechend wenig Handlungsbedarf sieht der rot-rote Senat.
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Christian Gaebler, hält ein gesetzliches Verbot für unnötig. "Die Alkoholdebatte ist pure Hysterie", sagte er der taz. Kein Gesetz könne für mehr Sicherheit sorgen. Auch die verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Jutta Matuschek, spricht sich gegen ein neues Gesetz aus: "Wir wollen die aktuelle Lage nicht verschärfen", sagt sie mit Blick auf Hamburg. Dort reagierten Bahnkunden auf das Alkoholverbot mit einer Massenmobilisierung auf Facebook, wo sie zu einem kollektiven "Abschiedstrinken" in der Hamburger U-Bahn aufrufen.
Bei der BVG hält man ein Gesetz ebenfalls nicht für notwendig. "Den besoffenen Pöbler kann ich heute schon herausschmeißen", erklärt Sprecherin Reetz. Das Hausrecht erlaube Sicherheitskräften, alkoholisierte Mitfahrer rauszuwerfen. Zudem sei die Durchsetzung eines gesetzlichen Verbots kaum realistisch: "Niemand kann täglich 1,4 Millionen Passagiere kontrollieren", so Reetz.
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