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Algerier in den Militärknast abgeschoben

■ Bremer Anwalt: Verwaltungsgericht verschuldet Abschiebung mitten im Verfahren / Gericht: Schuld ist der Anwalt

Schwere Vorwürfe gegen das Bremer Verwaltungsgericht und seinen Vizepräsidenten Jürgen Klose. Im Oktober soll ein algerischer Asylbewerber mitten im laufenden Verfahren abgeschoben worden sein. Das behauptet ein Bremer Anwalt. Trotz der Aufforderung durch den Anwalt habe es Richter Klose nicht geschafft, dem Ausländeramt Meldung zu machen, daß der Asylbewerber wieder im Verfahren sei. Weil diese Mitteilung ausblieb, wurde der Mann ausgeflogen — und in Algier direkt am Flughafen verhaftet und in ein Militärgefängnis geworfen. Seitdem fehlt jede Spur.

Mit dem Putsch 1992 wurden in Algerien alle oppositionellen Organisationen verboten, insbesondere die „Islamische Heilsfront“ (FIS), die sich angeschickt hatte, die Wahlen zu gewinnen. Das war die politische Lage, aus der der 27jährige Ali H. im März dieses Jahres floh. Als Mitglied der FIS und Aktivist der islamistischen SIT-Gewerkschaft hatte er das Schlimmste zu befürchten. Im saarländischen Lebach stellte er seinen Asylantrag, doch der wurde als „offensichtlich unbegründet“ zurückgewiesen. Kein Einzelfall: Die Anerkennungsquote liegt bei 0,4 Prozent, trotz der Massengefängnisse.

Ali H. flüchtete nach Bremen zu seinem Bruder, nach einiger Zeit wurde er aufgegriffen und kam ins Polizeigewahrsam. Der eilends herbeigerufene Rechtsanwalt Karim Popal fand, daß H. gute Gründe für seinen Asylantrag gehabt hatte. Und selbst wenn die bisher nicht ausreichten — was sein Mandant erzählte, das reichte allemal für einen Folgeantrag. Den stellte er auch. Inzwischen hatte sich H. nämlich bei den Islamisten in Bremen engagiert, und, was die Sache weiter dramatisierte, H.'s Vater war in Algier verhaftet worden. Rechtsanwalt Popal hatte schon einmal erlebt, wie das Ausländeramt einen Asylbewerber mitten im Verfahren abgeschoben hatte. Also schrieb er einen Extra-Brief: Bis zur Entscheidung sollte von einer Abschiebung abgesehen werden. Das war am 1.10.

Am 13.10. telefonierte Popal mit dem Ausländeramt. Dort wußte man schon: Antrag abgelehnt, das Amt wolle abschieben. Der Anwalt stellte sofort einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz.

Am Tag darauf kam die schriftliche Ablehnung des Asylantrags, einen weiteren Tag später reichte der Anwalt ordentlich Klage ein und beantragte für die Klagedauer eine Aussetzung der Abschiebung. Das, so Anwalt Popal, sei der Moment gewesen, in dem das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, das Ausländeramt zu unterrichten und die Abschiebung zu stoppen.

Genau das sei nicht passiert. Popal hatte Klage und Antrag persönlich beim Verwaltungsgericht vorbeigebracht, „zu Händen Vizepräsident Jürgen Klose“. Das war an einem Freitag. Am Montag morgen klingelte bei Popal zuhause das Telefon. Ali H.'s Bruder: „Herr Popal, mein Bruder wird gerade abgeschoben.“

Es begann ein Wettlauf mit der Zeit. Popal versuchte telefonisch die Abschiebung zu stoppen — ohne Erfolg. Er sprach sogar persönlich bei Klose vor, doch der habe ihm nur gesagt, daß noch Unterlagen fehlten. Ein letzter verzweifelter Versuch, seinen Mandanten auf dem Brüsseler Flughafen festhalten zu lassen, schlug auch fehl. Ali H. war gerade seit fünf Minuten in der Luft.

Nun erhebt Popal schwere Vorwürfe gegen das Verwaltungsgericht und Klose. H. sei rechtswidrig abgeschoben worden. Wenn Klose der Meinung gewesen sei, daß Unterlagen fehlten, hätte er den Antrag zurückweisen müssen, so Popal. Stattdessen habe es eine Eingangsbestätigung gegeben.

Klose weist die Vorwürfe zurück. Klose: „Der Anwalt hat den falschen Antrag gestellt, und das wußte er.“ Popal habe die Stadt verklagt, doch die sei nur Vollzugsbehörde. Er hätte aber das Zirndorfer Amt verklagen müssen. „Das hatte ich ihm gesagt. Aber der Antrag kam erst Montag.“ Pech für Ali H., da war er schon im Flugzeug. Jochen Grabler

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