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Alfonsin will einen Schlußstrich ziehen

■ Kein Angehöriger von Polizei und Militär in Argentinien soll nach einer Frist von 60 Tagen mehr angeklagt werden können

Buenos Aires (ap/dpa/taz) - Einen Tag, nachdem die „Mütter der Plaza de Mayo“ für die Aufdeckung sämtlicher Verbrechen der Militärdiktatur 24 Stunden lang durch die Straßen von Buenos Aires gezogen waren, kündigte Präsident Alfonsin in einer Fernsehrede an die Nation an, daß nun ein Schlußstrich unter die jüngste Vergangenheit gezogen werden müsse. Die Demokratie sei gefestigt, die wirtschaftliche Konsolidierung eingeleitet, es stehe nun nur noch die „nationale Versöhnung“ aus. Die Streitkräfte seien ein Teil dieser Gesellschaft. Nie dürfe das Land die Vergangenheit, die Angst vor Terrorismus und staatlicher Repression, vergessen, „aber wir können nicht ewig damit leben“, sagte Alfonsin. Die Streitkräfte könnten nicht unter ewigem Verdacht leben. 60 Tage nach der Verabschiedung der neuen Gesetze, die einen Schlußstrich setzen sollen, wird kein Angehöriger von Polizei und Militär, der nicht bereits unter Anklage steht, mehr der Strafverfolgung unterliegen. Ein Teil der Öffentlichkeit und humanitäre Organisationen werfen Alfonsin nun vor, eine versteckte Amnestie zu begünstigen. Wenige Stunden vor der Ansprache Alfonsins hatte das Bundesappellationsgericht in Buenos Aires entschieden, daß Marineleutnant Alfredo Astiz nicht vor Gericht gestellt werden kann. Er war angeklagt, 1977 die damals 17jährige Schwedin Dagmar Hägelin entführt und erschossen zu haben. Zeugen hatten damals gesehen, wie die Frau am hellichten Tag entführt wurde. Asitz habe sich auf den Boden gekniet, sagten sie vor Gericht aus, und die Frau von hinten erschossen, als sie versucht habe zu fliehen. Das aus einer Kopfwunde blutende Opfer wurde in den Kofferraum eines unter Waffengewalt angehaltenen Taxis geworfen und weggefahren. Das Oberste Militärgericht des Landes hatte Astiz mangels Beweisen freigespochen. Im Revisionsverfahren hat das zivile Bundesgericht nun festgestellt, daß die Tat verjährt sei. Bei der Urteilsverkündung kam es zu Tumulten. Einige „Mütter der Plaza de Mayo“ wurden von Gerichtsdienern aus dem Saal entfernt.

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