Alarmierende Messungen: Der Ostsee geht die Luft aus
Die sauerstoffarmen Zonen in der Ostsee breiten sich aus - und gefährden Lebensraum der Fische. Schuld sind Abgase fossiler Brennstoffe und Überdüngung.
Die Todeszonen auf dem Boden der Ostsee werden immer größer. Noch nie seit Beginn entsprechender Messungen zu Beginn der Sechzigerjahre war die Ausbreitung von gänzlich toten Böden und von Zonen mit saisonalem erheblichem Sauerstoffmangel so umfassend wie jetzt. Laut Messungen des schwedischen Meteorologischen Instituts, die jetzt veröffentlicht wurden, sind ein Fünftel der Böden in der Kern-Ostsee - zwischen Dänemark und den Åland-Inseln - ohne Sauerstoff. Und einem Drittel der Böden droht angesichts fortschreitenden Sauerstoffmangels das gleiche Schicksal.
Neben den Abgasen des Auto- und Schiffsverkehrs und Einleitungen von Industrien und Kläranlagen trägt die Hauptschuld an dieser Entwicklung vor allem die Überdüngung in der Landwirtschaft. Jährlich werden derzeit nach Erkenntnissen der schwedischen Metereologen 1,4 Millionen Tonnen Stickstoff und 60.000 Tonnen Phosphor in die Ostsee geleitet. Die Wissenschaft ist sich uneinig, wo eine vertretbare Grenze verläuft. Doch es gibt Berechnungen, wonach diese Düngemittelzufuhr um etwa die Hälfte verringert werden müsste, will man eine weitere Versteppung des Meeresbodens stoppen und der Ostsee eine Chance zur Erholung geben.
Vor einem Jahr hatten sich die Ostseeanrainerstaaten nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Rettungsplan geeinigt. Demnach sollten die Stickstoff- und Phosphoreinleitungen um 13 beziehungsweise 43 Prozent vermindert werden - allerdings erst ab 2016. Umweltschutzorganisationen hatten dies schon damals als unzureichend kritisiert. Es bedürfe einer drastischeren und schnelleren Verringerung und vor allem verbindlicher Reduktionsziele, so ihre Forderung. In der Vergangenheit gab es bereits mehrere Programme zur "Rettung der Ostsee", die nach Meinung von Umweltschützern allerdings zu vage waren und nicht von allen Anrainerstaaten eingehalten wurden.
Laut Rutger Rosenberg, Professor für Meeresökologie an der Universität Göteborg, haben sich die permanenten Todeszonen in der Ostsee seit den Sechzigerjahren alle zehn Jahre jeweils verdoppelt. Sie umfassen mit rund 70.000 Quadratkilometer ein Gebiet, das so groß ist wie ein Fünftel der Bundesrepublik. Damit wächst nicht nur die Gefahr giftiger Algenblüten, sondern es sind 30 bis 50 Prozent der tierischen Biomasse in der Ostsee in den letzten fünf Jahrzehnten verschwunden. Laut Rosenberg fehlen damit bis zu 3 Millionen Tonnen Bodenlebewesen auf der Speisekarte der Fische. Die Entwicklung drohe auch alle Anstrengungen, über verminderte Fischereiquoten die Erholung der Kabeljaubestände zu verbessern, zunichtezumachen. In dem immer sauerstoffärmeren Wasser hätte der Ostseekabeljau keine Chance, sich zu reproduzieren: "Die Kabeljaueier können nicht überleben, und das droht die Bestände ganz auszulöschen."
Am meisten breiten sich die toten Zonen im Zentralteil der Ostsee westlich und östlich der schwedischen Insel Gotland aus. Ab 80 Meter Tiefe findet man praktisch keinen Sauerstoff mehr. Zusätzlich macht sich der Sauerstoffmangel nun in der südlichen Ostsee in einer Zone zwischen der dänischen Insel Bornholm und den Küsten von Polen und Litauen bemerkbar. Rutger Rosenberg: "Man kann nicht allein darauf hoffen, dass es mal wieder einen kräftigen Zufluss sauerstoffreichen Wassers aus dem Nordatlantik gibt, wie zuletzt 1993. Nur eine Minderung der Stickstoff- und Phosphoreinleitung hilft. Es gibt keine andere Variable, die so große ökologische Bedeutung für das marine Ökosystem hat."
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