Aktivist Ralf Peter Engelke über Sparpaket: "Was machst du denn so?"
Alle reden über Erwerbslose, niemand über fehlende Jobs. Das schwarz-gelbe Sparpaket wird vor allem das Klima in den ARGEN anheizen, glaubt der Aktivist Ralf-Peter Engelke.
taz: Herr Engelke, seit wann sind Sie erwerbslos?
Ralf Engelke: Seit 2001.
Rechnen Sie damit, noch eine Arbeit zu kriegen?
Nein, damit hab ich abgeschlossen.
In welchem Bereich haben Sie zuletzt gearbeitet?
Ich habe versucht, in der IT-Branche Fuß zu fassen. Als meine Fortbildung zu Ende war, platzte die Internetblase und ich habe keinen Job mehr gefunden. Im ersten Beruf war ich Fotolaborant, im zweiten chemisch-technischer Assistent.
wurde 1964 geboren und ist Bundesschatzmeister der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei Die Linke. Er lebt in Berlin.
Waren Sie immer politisch engagiert?
Ja. Ich komme aus der Umweltbewegung und war lange Greenpeace-Aktivist. Dann trat ich den Grünen bei, war auch im Parteivorstand in Kassel. Aber als ich dann erwerbslos wurde, fühlte ich mich fehl am Platz. Heute bin ich Mitglied der Linkspartei und vor allem engagiere ich mich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen.
Haben Sie erwartet, dass die Regierung vor allem die Hartzer schröpfen wird?
Schon. Für Schwarz-Gelb ist es natürlich einfach. Den Grund- und Meilenstein für das Abhängen der Erwerbslosen haben ja Rot-Grün durch die Hartz IV gelegt. Warum also sollten ausgerechnet sie damit nicht weitermachen? Und Rot-Grün sind bis heute nicht bereit sind zuzugeben, dass sie sich mit dem Prinzip "Fördern und Fordern" total verrannt haben.
Was wird jetzt konkret passieren?
Die Situation in den ARGEN und in den Jobcentern wird sich noch weiter verschlechtern. Die Angestellten dort sind ja schon jetzt wegen der vielen Klagen und Beschwerden total überlastet. Manche sind auch nicht ausreichend qualifiziert, die kommen mit der Wut der Arbeitssuchenden nicht klar und werden reihenweise krank. Außerdem werden ohne Wohn- und Heizkostenzuschüsse viele von uns umziehen müssen und frieren.
Was ist mit den Fortbildungsmaßnahmen?
Das funktioniert ja jetzt schon nicht. Sie kriegen zum x-ten Male Bewerbungstraining, wo man Ihnen erklärt, dass Kaffeeränder auf der Bewerbung nichts zu suchen haben. Doch daran scheiterts nicht. Das Problem ist, dass es keine Stellen gibt. Aber dass wir eine Umverteilung von Arbeit brauchen, darüber spricht keiner.
Was erwarten Sie von den bundesweiten Protesten diesen Samstag?
Ich hoffe, dass viele Leute Eier und Tomaten mitbringen. Denn die Wut muss rausgelassen werden, das kann ich nur empfehlen. Ansonsten wird man nämlich krank.
Werden viele kommen? Immerhin beginnt die WM, und es ist heiß.
Ich kann nur hoffen, dass dieses ganze WM-Gesülze mit der Vorrunde beendet ist. Und wenn die Deutschen dann Weltmeister werden, ist das Paket natürlich durch.
Wurde genügend mobilisiert?
Von den Netzwerken zur bedingungslosen Grundsicherung schon. Von den Gewerkschaften wurde zu wenig getan, die setzen ja immer noch auf Vollbeschäftigung, die wird es aber nicht geben. Deshalb muss es darum gehen, in ganz Europa einen sanktionsfreien Regelsatz von etwa 800 Euro einzuführen.
Angesichts der Sparwut stehen die Chance dafür eher schlecht, oder?
Sicher. Aber die Mittelschicht muss sich endlich mit der sogenannten Unterschicht, also mit den Leuten, die wenig haben, solidarisieren. Wenn man sieht, wie viel Geld in die Banken gepumpt wurde, kann man das Sparargument doch nicht mehr ernst nehmen. Wir brauchen schlicht zusätzliche Steuereinnahmen.
Erfahren Sie Solidarität?
Im Bekanntkreis ja. Ansonsten schlägt die Mobilmachung gegen uns "Schmarotzer" auf den Alltag durch.
Inwiefern?
Die große Frage auf einer Party ist ja immer: "Was machst du denn so?" Sagt man dann: "Ich bin gerade erwerblos", dann wechselt der andere entweder sofort das Thema oder holt sich schnell ein neues Getränk und kommt nicht mehr zurück. Als ob man ansteckend wäre. Wir werden oft als Bedrohung empfunden und als Lohndrücker, weil wir auch Ein-Euro-Jobs annehmen. Aber was bleibt denn übrig, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt?
Wie schaffen Sie es, so kämpferisch zu bleiben?
Ich komme aus einer armen Familie mit zehn Kindern und habe früh gelernt zu kämpfen.
Was ist Ihre Zukunftsperspektive?
Ich werde weiter gesellschaftlich-politische Arbeit leisten. Man muss sich von der Idee verabschieden, ein normales Leben wie in der Werbung führen zu können. Sonst kommt man nicht klar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren