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taz FUTURZWEI

Aktivismus im Iran Tod eines Baumumarmer-Hippies

Der Teheraner Post-Punk-Musiker Ramin Seyed-Emami über den angeblichen Freitod seines Vaters in einem Teheraner Gefängnis und wie gefährlich es ist, Umweltaktivist im Iran zu sein.

»Mit der Angst zu leben wird unter einem paranoiden System zur zweiten Natur«: Ramin Seyed-Emami Foto: Tori Ferenc

Ramin Seyed-Emami (geboren 1980) ist Leadsänger der Teheraner Post-Punk-Band Hypernova und als Solokünstler unter dem Namen King Raam bekannt. Sein Vater, der renommierte Umweltaktivist Kavous Seyed-Emami, starb unter ungeklärten Umständen im Evin-Gefängnis von Teheran. Er war wegen Spionagevorwürfen inhaftiert worden. Sohn Seyed-Emami lebt heute im Exil in Vancouver und leistet offen Widerstand gegen das iranische Regime.

taz FUTURZWEI: Warum wird Umweltaktivismus im Iran von der Regierung verfolgt, Herr Seyed-Emami?

Seyed-Emami: Zum einen stören Umweltaktivisten die Profitgier der iranischen Regierung, indem sie unsachgemäße Bewässerungssysteme oder landwirtschaftliche Techniken anprangern. Gleichzeitig befinden sich viele der Tiere, die geschützt, markiert und getrackt werden, in Regionen, in denen die Regierung geheime nukleare Aktivitäten durchführt – ohne Wissen der Umweltschützer. Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen verstärkt das Misstrauen noch: Wer sind diese anderen Leute? Sind die Ausrüstung oder die Kamerafallen vielleicht aus Israel, um unser nukleares Material zu orten? So wird Umweltaktivismus im Iran lebensgefährlich.

Ihr Vater Kavous Seyed-Emami war Umweltaktivist. Er hat unter anderem die Persian Wildlife Heritage Foundation gegründet und sich beispielsweise für den Artenschutz des asiatischen Geparden eingesetzt, der vom Aussterben bedroht ist.

Mein Vater war ein typischer Hippie-Baum-Umarmer. Die Natur hatte für ihn immer oberste Priorität, was besonders für meine Mutter nicht immer leicht war. Wir sind in meiner Kindheit viel gereist. Ich glaube, es gibt buchstäblich keine Ecke im Iran, die wir nicht gesehen haben. Viele Menschen, die in Städten leben, sprechen viel über Umweltschutz, für uns war er Alltag. Wir haben zum Beispiel zu Hause nie Wasser aus der Flasche getrunken. Mein Vater ging immer in die Berge und holte dort literweise Quellwasser.

Haben Sie auch Wassergallonen getragen?

Ja. Das hatte auf mich eine tiefe Wirkung. Ich wollte als Kind auch ein Outdoor-Typ sein, so etwas wie ein Öko-Touristenführer, aber am Ende wurde ich ein Möchtegern-Rockstar.

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War Ihnen klar, wie gefährlich es ist, im Iran Umweltaktivist zu sein?

Jede Art von Nichtregierungsarbeit im Iran kann von der Regierung als gefährlich eingestuft werden, egal ob sich die NGO für die Umwelt, Waisenkinder, Suchtkranke oder Sexarbeitende einsetzt, weil diese NGOs im Austausch mit Institutionen im Ausland sind. Das war uns bewusst. Früher hat uns die Polizei zum Beispiel verhaftet, wenn wir zelten gingen. »Mitten im Nirgendwo zelten ergibt keinen Sinn, das müssen Schmuggler sein«, war die Logik, auch wenn es sich um eine Familie mit Kindern handelte.

Also kann jede Aktivität außerhalb staatlicher und religiöser Institutionen als Widerstand gesehen werden?

Ja, genau. Zelten ist ein Akt des Trotzes und der Revolution.

Lebte Ihre Familie in ständiger Sorge um den Vater?

Nein. Mit der Angst zu leben wird einem unter diesem paranoiden Regime zur zweiten Natur. Mein Vater war ein bekannter Intellektueller und Professor, er hatte Freunde in allen Bereichen der Gesellschaft, die Leute respektierten ihn. Die Arbeit seiner Stiftung war transparent. Wir dachten, wie die meisten Menschen im Iran denken: Man hört schreckliche Geschichten, aber geht davon aus, dass einem selbst nichts passiert. Man lernt auch, eine Komplexität in der Identität aufzubauen, in der man zu Hause das eine ist und in der Öffentlichkeit das andere.

Wie lief das genau?

Meine Familie hatte mit meinem Vater viele Jahre in Oregon gelebt, wo er promoviert hat. Für mich war es ein Kulturschock, mich mit zehn Jahren an dieses chronische Lügen zu gewöhnen: »Bei uns zu Hause gibt es keinen Alkohol und keine ausländischen Filme«, habe ich gelernt zu sagen. Einmal nahm mir ein Lehrer meinen Walkman weg und sagte, das sei gegen den Koran. Ich sagte, ich sei mir ziemlich sicher, dass Walkmans noch nicht erfunden waren, als der Koran geschrieben wurde. Dafür schlug er mich. Ich habe gelernt, mich zu wehren.

»Der Westen kümmert sich nicht um ein paar Umweltaktivsten.«

Ramin Seyed-Emami

Wurde Ihr Vater bedroht?

Mein Vater wusste von einigen Drohungen gegen ihn, aber er hat uns nie etwas gesagt. Das bricht mir das Herz. Hätten wir gewusst, dass er überwacht wurde, hätten wir als Familie vielleicht dagegen vorgehen können.

Am 24. Januar 2018 wurde er dann gemeinsam mit sieben Kollegen aus der Persian Wild Life Heritage Foundation verhaftet.

Ja, Morad Tahbaz, der Kogründer der Persian Wildlife Heritage Foundation, war schon ein paar Wochen vor allen anderen verhaftet worden. Dann folgten die anderen sechs. Mein Vater war mit meiner Mutter auf einer Urlaubsreise im Norden des Irans, als sie ihn verhafteten. Sie wurden des »Sammelns geheimer Informationen unter dem Deckmantel wissenschaftlicher und ökologischer Projekte« beschuldigt. Die gesamte Ausrüstung des Teams wurde beschlagnahmt. Sie haben mit etwa fünfzig Leuten Razzien bei uns und den anderen Kollegen zu Hause durchgeführt. Sie nahmen unter anderem meine gesamte Musikausrüstung als »Beweis« für E-Spionage mit.

Was war der konkrete Vorwurf?

Sie beschuldigten meinen Vater, eine Angel zu benutzen, um SW-Radiosignale an Israel zu senden. Insgesamt lautete die Anschuldigung: wiederholte staatsfeindliche Akte und E-Spionage. Bisher gab es weder inner- noch außerhalb eines Gerichts irgendwelche Beweise für ein Vergehen.

Dann kam die Nachricht, Ihr Vater habe sich am 8. Februar 2018 im Evin-Gefängnis selbst umgebracht – aufgrund der belastenden Beweislage gegen ihn als Spion.

In dem Moment war die Kacke am Dampfen. Ich erinnere mich nur daran, dass mein bester Freund mich anrief und mich fragte, ob ich sitze. Sobald er das gesagt hatte, wusste ich, was passiert war. Es war eine sehr schwierige Zeit. Sie hatten meiner Mutter gesagt, dass sie meinen Vater besuchen könne. Als sie in Evin ankam, verhörten sie sie fünf Stunden lang, folterten sie, nur um ihr dann seinen toten Körper zu zeigen. Das soll nur verdeutlichen, wie grausam diese Leute sind.

Pirouz

Der asiatische Gepard Pirouz ist in diesem Frühjahr im Alter von zehn Monaten als einer der letzten seiner Art an Nierenversagen gestorben. Die Stiftung von Kavous Seyed-Emami hatte sich der Rettung dieser Geparden-Unterart verschrieben, die nur noch im Iran lebt, und warnt seit Jahren, sie nicht aussterben zu lassen. Insgesamt soll es nach Behördenangaben noch etwa zwölf asiatische Geparde in freier Wildbahn geben. Pirouz war in Gefangenschaft geboren und erlangte in seiner kurzen Lebenszeit große Popularität.

Er wird auch in der Hymne der Woman-Life-Freedom-Revolution (Baraye von Shervin Hajipour) erwähnt, die 2023 den Grammy »Bester Song für sozialen Wandel« gewonnen hat. Dies zeigt, dass die Umweltschutzaktivitäten einer Stiftung zum Thema einer Revolution geworden sind.

Ihrer Familie wurde gedroht, sie könnte »als Nächstes suizidiert werden«. Am 8. März haben Sie und Ihr Bruder den Iran verlassen.

Ja. Aber meine Mutter wurde am Flughafen aufgehalten und ihr wurde der Pass abgenommen. Meine Mutter hat uns am Flughafen weinend angefleht, dass wir das Land ohne sie verlassen und uns dann aus dem Ausland bemühen, sie nachzuholen. Sie wollten uns auch noch unsere drei Hunde abnehmen, aber die Lufthansa sagte, dass die Hunde schon im Flugzeug seien.

Ihre ganze Familie hat sowohl die iranische als auch die kanadische Staatsbürgerschaft, weil sie viele Jahre in Kanada gelebt hat. Gab es nach dem Tod Ihres Vaters Unterstützung aus Kanada?

Die meisten unserer Freunde und Bekannten hatten solche Angst, mit uns in Verbindung gebracht zu werden, dass sie uns nicht einmal mehr anrufen wollten. Mein Vater war auch mit dem Chef der UNEP, Gary Lewis, befreundet. Viele Menschen in höheren Regierungspositionen in der Welt zählten zu seinen Bekannten. Die sagen alle nette Sachen und schütteln dir die Hand, um ein Foto mit dir zu machen und senden dann einen Tweet. Der Tod einer einzelnen Person ist aber keine sexy Nachricht. Ich glaube, wenn unsere Familie weiß gewesen wäre, wäre die Situation ganz anders gewesen. Denn wir hatten schon andere weiße Kanadier gesehen, die entführt oder als Geiseln gehalten wurden. Deren Situation wurde sehr schnell geklärt. Unsere dagegen wurde nie gelöst.

Was wurde aus den Kollegen Ihres Vaters?

Die restlichen sieben Kollegen meines Vaters sitzen seit fünf Jahren immer noch im Gefängnis. Aber die Menschen vergessen schnell. Es ist die Twitter-, Instagram- und TikTok-Generation, in der man an einem Tag etwas tut und am nächsten Tag alles wieder vergisst. Es gibt so viele Informationen, mit denen wir bombardiert werden. Man weiß nicht, für welche Schlachten man sich entscheiden soll. Die Gefahr ist, dass es überwältigend wird und man einfach aufgibt. Ich denke, es ist besser, sich auf ein paar Dinge zu konzentrieren und die Agenda in diesen Bereichen voranzutreiben.

Worauf konzentrieren Sie sich?

Auf den Iran aus dem Exil. Jeden Tag wird in dieser Revolution ein neuer Mensch verhaftet. Jeden Tag starten wir eine neue Kampagne, um diese Gefangenen zu befreien. Auch bezüglich der Kollegen meines Vaters, die immer noch in Haft sitzen, bin ich konstant im Austausch mit ihren Familien. Wir versuchen, das Bewusstsein für die Menschen zu schärfen. Aber den westlichen Ländern geht es nur um Verhandlungen mit dem Iran – sie wollen weder einen nuklearen Iran noch eine instabile Situation im Nahen Osten, aber sie kümmern sich nicht um »ein paar Umweltaktivisten«.

taz FUTURZWEI N°26

Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

taz FUTURZWEI N°26 hier bestellen

Woran liegt das, dass das Systematische daran offenbar bagatellisiert wird?

Ich glaube, viele Menschen verstehen das Ausmaß der Gewalt des iranischen Regimes nicht. Die Menschen im Westen sind empörter über das, was in der Ukraine passiert, weil es näher ist. Es ist vertrauter. Aber diese Art von Gräueltaten geschehen überall auf der Welt.

Was tun Sie dagegen?

Informationen verbreiten. Als mein Bruder und ich in Kanada ankamen, gingen wir zu Christiane Amanpour ...

... eine iranisch-britische CNN-Journalistin ...

... zur New York Times, zu allen Sendern, die wir kannten, und versuchten, darüber zu sprechen, was mit unserem Vater passiert war. Auch bei der UNO traf ich mich mit dem Leiter des UNHCR, dem Leiter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, das war zu dieser Zeit Seid al-Hussein.

Wie haben Sie es geschafft, sich ein neues Leben zu organisieren?

Es war sehr schwer. Viele Abhängigkeiten, Suizidgedanken, Depressionen. Eine Wohnung zu finden war unmöglich. Allein findet man vielleicht noch einen Platz bei Menschen auf der Couch. Aber dich, deinen Bruder, drei Hunde und einen Haufen Koffer bei anderen Menschen unterzubekommen, ist schwer. Bis heute habe ich keinen festen Wohnsitz. Meine Mutter konnte dann 2020 auch aus dem Iran ausreisen, jetzt arbeiten mein Bruder und ich rund um die Uhr, um sie versorgen zu können.

»Für diese diktatorische Wirtschaft

Für diese verschmutzte Luft

Für die Vali-Asr-Straße und ihre alten, abgenutzten Bäume

Für Pirouz und die Gefahr seiner Ausrottung

Für die unschuldigen verbotenen Hunde«

Aus der Hymne Baraye von Shervin Hajipour

Sind Sie denn jetzt sicher?

Eines Tages kam der kanadische Geheimdienst CSIS zu mir nach Hause und warnte mich, vorsichtiger zu sein. Es ist hart, auch außerhalb des Irans weiter von der Regierung ausspioniert zu werden. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Ich will nicht gelähmt von Angst leben. Aber ich bin immer ein bisschen achtsamer als eine durchschnittliche Person und bin mir, zum Beispiel, sehr bewusst darüber, ob mir gerade jemand folgt.

Während der Pandemie haben Sie den Podcast Masty o Rasty begonnen, der mittlerweile eine sehr große persischsprachige Hörer:innenschaft hat. Ist das ein Weg, um das Bewusstsein der Leute zu schärfen?

Ja, und mein Podcast bietet mir eine Möglichkeit, auch ein wenig Humor in den Diskurs einzubringen. Immer nur schwere Nachrichten in sachlicher Form zu konsumieren, kann lähmen, aber wir müssen vereint handlungsfähig bleiben. Im Iran nennen wir das »Simorgh«. Es geht um einen Schwarm Vögel, die zusammen reisen, um einen riesigen mystischen Vogel zu suchen. Dann stellen sie fest, dass sie alle zusammen dieser eine Vogel sind.

Sie sprechen in Ihrem Podcast offen über Ihre Depressionen.

Ja, denn diese Themen sind insbesondere im Iran sehr stark tabuisiert. Als ich anfing, darüber zu sprechen, dachten die Leute zuerst, ich hätte mit meinem Vater auch meinen Verstand verloren. Aber je mehr Menschen zuhörten, desto mehr fanden es gut, dass ich diese Tabus offen thematisiere. Viele meiner Gäste leben auch im Exil, und ich spreche mit ihnen über ihre Erfahrungen.

Sie sind Musiker und haben auch ein Lied für Ihren Vater geschrieben. Was ist die Botschaft?

Auf einem meiner psychedelischen Trips kam mein Vater zu mir und sagte: »Lass nicht zu, dass mein Tod den Rest deines Lebens bestimmt. Deine Reise geht weiter.« Das war eine sehr wichtige Lektion für mich. In einem Opferstatus zu leben, gibt dem Regime, das uns alles genommen hat, die Macht. Die beste Rache ist, ein glückliches Leben zu führen, egal wie schwierig es ist.

Interview: LEA LUTTENBERGER

Dieser Beitrag ist im September 2023 im Magazin taz FUTURZWEI N°26 erschienen.