Aktionstage gegen Gentrifizierung: Besetzen bitte nur unvermummt

Während der Tu Mal Wat-Aktionstage wurde ein Haus der ehemaligen Schultheiss-Brauerei an der Landsberger Allee 54 besetzt. Eine Beobachtung.

Drahtseilakt mit speziellem Publikum – Aktivist:innen an der ehm. Schultheiss-Brauerei im Auge der Polizei Bild: Torben Becker

von TORBEN BECKER

Am Mittag des 28. September wehten die ersten Transparente an der fleckigen Backsteinfassade der Landsberger Allee 54. Das Haus wurde von der Gruppe VilLA 54 für besetzt erklärt. Es war die erste Besetzung im Rahmen der "Tu mal Wat"-Aktionstage. Während dieser wurde in Berlin für den Erhalt linker Freiräume und für bezahlbaren Wohnraum gekämpft. Besetzungen waren angekündigt. In der Landsberger Allee war die Polizei schnell vor Ort und versuchte, sich durch das vergitterte Eingangsort einen ersten Überblick zu verschaffen.

Bei dem Gebäude handelt es sich um das kubische Vorderhaus der ehemaligen Schultheiss-Brauerei. Einst gab es den Weg frei zu den großen Produktionshallen, die weiter hinten auf dem Gelände stehen. Am Samstag haben die Aktivist:innen in fünf Meter Höhe Seile aus dem ersten Stock über die Einfahrt gespannt. Daran hangelten sich zwei von ihnen entlang, um trotz des immer wieder einsetzenden Regens ein Transparent zu hissen.

In der Zwischenzeit riegelte die Polizei den Bereich um das Gebäude ab. Schaulustige und Unterstützer:innen mussten auf der gegenüberliegenden Straßenseite bleiben. Dort meldeten sie eine spontane Kundgebung an. Auf einem kleinen Tisch gab es Infomaterial zu den Aktionstagen, Tee und Essen – kleine Stärkungen für Solidaritätsrufe: „Syndi, Potse, Liebig bleibt. One struggle, one fight!“

Ein Ort zum Mitgestalten

In ihrem Bekenntnis, das die Gruppe zum Auftakt ihrer Aktion online veröffentlichte, klagen sie die fortschreitende Privatisierung von städtischem Wohnraum an. Das Gebäude stünde schon seit sieben Jahren leer. Dem wollen sie einen Ort entgegensetzen, „an dem alle Menschen willkommen sind die Lust haben mitzugestalten, egal ob Nachbar*innen, Wohnungslose, illegalisierte und gesellschaftlich marginalisierte Menschen, Initiativen und Gruppen auf der Suche nach Raeumen.“

Für diesen Zweck ist das Objekt schon lange begehrt. Vor acht Jahren arbeiteten in den Häusern der Brauerei noch die Künstler:innen des Kollektivs LA54. Dann mussten sie schlagartig die Häuser verlassen. Es hieß die Mängel in den denkmalgeschützten Gebäuden seien zu gefährlich. Seither kämpfte das Kollektiv mit Kunstaktionen gegen den Leerstand, doch das einzige was sich in den letzten Jahre verändert hat, waren die Eigentumsverhältnisse. Seit 2017 gehört das Gelände der Patzendorfer Gmbh, einer Tochterfirma der Investa GmbH.

Der Druck steigt

Gustav Kleinschmidt, Sprecher von LA54, ist zum Zeitpunkt der Besetzung in London. Von der Besetzung war er positiv überrascht: „Gewusst habe ich davon im Vorfeld nichts, aber natürlich finde ich es gut, wenn der Druck auf den Eigentümer nicht mehr nur von einer Seite kommt.“ Er gesteht aber auch zu, dass es seitens der Investa GmbH „Kommunikationsangebote“ gab.

Der Projektleiter, Herr Alert, zeigte sich bereit, die auch von Baustadtrat Florian Schmidt geforderten 10 % für nicht kommerzielle Nutzung in zukünftigen Plänen zu berücksichtigen. Nutzungsvorstellungen der restlichen 90 % reichen bei Investa von Büroräumen, Coworking-Spaces bis Showrooms. Dagegen protestierten die kletternden Aktivist:innen.

Während am Nachmittag an der Landsberger Allee wütende Autofahrer:inne sich über das Chaos auf der Straße beschwerten, kontaktierte die Polizei die  Hauseigentümerfirma: „Wir müssen die Eigentumsverhältnisse klären und schauen, ob das Gebäude geräumt werden soll“, erklärte Thilo Cablitz, Pressesprecher der Berliner Polizei gegenüber der taz. Er hätte sich gerne zweigeteilt, denn gegen halb vier wurde im Rahmen der Aktionstage auch an der Frankfurter Allee ein Haus besetzt.

Besetzung mit Imageproblem?

Ein Patient des schräg gegenüber liegenden Vivantes Krankenhaus im Friedrichshain beobachtete das Schauspiel derweil von der anderen Straßenseite aus, rauchend und kopfschüttelnd unterhielt er sich mit seiner Begleiterin. Seine Meinung schien eindeutig: „Die sind vermummt und gewaltbereit. Das sehe ich doch schon wenn ich auf deren Banner lese ‚Gegen Bullen‘ oder was da steht.“ Er zürnte den Aktivist:innen. Die seien faul und wollten einfach nicht arbeiten.

Doch dann kamen der Mann und seine Begleiterin doch ins Grübeln. Das Engagement für mehr bezahlbaren Wohnraum in der Stadt finden sie eigentlich unterstützenswert: „Sie könnten doch auf ihre Plakate schreiben, ‚Wir sind für bezahlbaren Wohnraum‘, und dazu ihr Gesicht zeigen. Dann würden wir das auch verstehen.“ So würden auch wirklich Nachbar:innen angesprochen werden, waren die beiden überzeugt.

Ob Besetzungen gänzlich ein Imageproblem haben, ließ sich an diesem Tag nicht ausdiskutieren. Am frühen Abend hatte die Investa GmbH eine Räumungsklage erteilt. In der Dämmerung verschaffte sich die Polizei Zugang ins Haus, mit einem Feuerwehrkran über das Dach und mit dem Brecheisen durch ein Fenster der Hochparterre. Die Aktivist:innen, die den gesamten Tag an der Hausfassade über dem Eingang in den Seilen hingen, zögerten die Räumung in die Länge.

Bis zum Abend wurden nach Angaben der Polizei an der Landsberger Allee insgesamt fünfzehn Personen festgenommen. Vierzehn davon wegen Hausfriedensbruch, eine am Nachmittag kurzzeitig wegen einer Auseinandersetzung mit der Polizei.