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„Aha, da ist wieder 'ne Demokratie“

■ Der Bremer SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Waltemathe als Wahlbeobachter in Chile

taz (aus Santiago Dirk v. Bremen): Zum wievielten Mal sind Sie in Sachen Menschenrechte in Chile?

Waltemathe: Das ist jetzt das fünfte Mal. 1978 das erste Mal, dann 1985, letztes Jahr zum Plebiszit im Oktober. Im April dieses Jahres war ich mit einer Bundestagsdelegation hier. Jetzt ist es das fünfte Mal, und ich hoffe, es wird in Sachen Menschenrechte das letzte Mal sein. Wenn ich das sechste Mal komme, habe ich angedroht, mich hier auch etwas als Tourist rumzutummeln, denn vom Lande habe ich noch nicht viel gesehen.

Während der Wahl: Wo werden Sie sein?

Zur Wahlbeobachtung werde ich in Temuco sein...

... also unter lauter Deutschen.

Ja, da ist eine deutsche Kolonie, Auswanderer aus dem vorigen Jahrhundert und ihre Nachkommen.

Es wird Sie also nicht wundern, wenn dort 60 Prozent der Stimmen für den Kandidaten des Diktators Pinochet, Hernan Büchi, abgegeben werden?

Ich kann noch nicht beurteilen, wie die Situation in Temuco ist. Ich war beim Plebiszit in Valdivia, wo ja auch sehr viele Deutsche leben, aber dort war damals das Verhältnis 65 zu 35 für das „Nein“ gegen Pinochet.

Sie haben gar nicht so eine schlechte Meinung von den Deutschen?

Ich habe keine schlechte Meinung von den Chilenen, daß sie wissen, was sie zu tun haben. Ich weiß wohl, daß nicht „die Deutschen“, aber viele Deutsche, die zur Auswanderertruppe aus dem vorigen Jahrhundert gehören, konservative bis reaktionäre Leute sind. Die üben keinen guten Einfluß aus, sie haben auch Besitzstände zu verlieren.

Können Sie im Wahllokal wirklich beurteilen, ob die Auszählung mit rechten Dingen zugeht?

Ja, ich war schon letztes Jahr sehr beeindruckt über die Geheimhaltung der Abstimmung und die Offenheit der Stimmenauszählung - offener als bei uns, auch viel umständlicher, aber außerordentlich korrekt. Und da habe ich großes Vertrauen, daß die Auszählung hinhaut.

Und Ihr Tip für das Ergebnis?

Also ich hoffe doch, daß Aylwin gleich eine absolute Mehrheit erreicht, daß kein zweiter Wahlgang im Februar erforderlich wird. Und ich hoffe auch, daß bei den Senats -und Abgeordnetenhauswahlen eine klare Mehrheit für eine demokratische Übergangsregierung festzustellen sein wird.

Glauben Sie, daß sich in einem Jahr in Deutschland noch jemand für Chile interessieren wird?

Ich hoffe es. Aber ich befürchte, daß wir den Fehler begehen könnten, den wir schon in Argentinien beim zur Demokratie begangen haben, daß wir auf dem Kalender den 14. Dezember 1989 abhaken: Aha, da ist wieder 'ne Demokratie, brauchen wir und nicht mehr drum zu kümmern.

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