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Archiv-Artikel

Agenda 2010 Kultur ist kein Trostpflaster

Aua, Aua Aua,

das tut weh,

Aua, Aua Aua,

wenn ich dich so seh

Aua, Aua Aua,

das tut weh! (Die Prinzen)

Mein Schienbein blutet. Beim automatisierten Einstieg ins Auto ist das passiert. Der Fahrersitz stand in Zwergenstellung. Der Türrahmen war also im Weg. Aua. Schnell, schnell, schnell. Her mit einem Pflaster und ab auf die A40. Darstellende Kunst wartet nicht, wenn sie ausverkauft ist. Auffahrt Bochum-Wattenscheid. Stadt der Möglichkeiten. Erste Hängepartie. Verkehrs-Experten haben hier eine Ampel vor den Verkehrsfluss gesetzt, damit alles schneller geht. Bei mir stimmt die Theorie in der Praxis nicht. Das Pflaster klebt bereits auf meiner Wunde und spannt, als ich die graue Bahn Richtung Stadt der Kulturen erreiche. Hundert Meter Vollgas, dann wieder Standzeit zum Nachdenken.

Eine Stadt der Künste, Kulturen und Möglichkeiten soll die Europäische Metropole 2010 also werden? Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel lautet das Motto der Bewerbung. Aber eigentlich ist hier eine verwundete Mega-Industrie-Zone. Ist Kunst also nur ein transdermales Pflaster für den Strukturwandel? Heißt medizinisch: Wirkungen werden über die Haut erzielt, ohne den Magen-Darm Trakt oder die Leber zu durchlaufen. Ich muss inmitten alter Biermetropolen über Fäkaldramen grinsen. Mein Hintermann tobt. Immerhin hätte ich bereits zwei Meter vorfahren können.

Doch die Wundheil-Idee lässt mich nicht mehr los. Man prahlt mit einer Unzahl an Theatern, Philharmonien und Festivals. Dennoch hat die Politik der Region das RuhrTriennale-Pflaster aufgeklebt. Soll die heimische Kultur darunter besser heilen? Das glaube ich nicht. Und ob von der Wunde eine Narbe bleibt, wird sich zeigen. Jetzt werden wir auch noch Kulturhauptstadt. Ein europäisches Medienereignis, ein Werbetafel für die Landesregierung, ein Allheilmittel für die Tourismusbranche. Also ein Universalpflaster gegen den schleppenden Strukturwandel. Mir geht ein Scheinwerferlicht auf. Hier ist das Bild stimmig. Das könnte die kulturelle Entwicklung der nächsten Jahr tatsächlich sein. Deshalb will die Ruhr 2010 GmbH auch keine Antragstelle sein, die Geld zu verteilen hat. Das sagte Geschäftsführer Oliver Scheytt jedenfalls letzte Woche. Es müssen schließlich Wahnsinns-Ideen her und keine Standard-Projektchen. Die einzige Frage ist die stoffliche Qualität des Wundheilungspflasters. Der Typ hinter mir rastet wieder aus. Ok. Ich fahre die zehn Meter vor.

PETER ORTMANN