African-American-Studies-Professor Marshall: "Ohne Jesse Jackson kein Obama"
Barack Obama gibt sich als Resultat der Bürgerrechtler - ohne deren politischen Diskurs zu teilen. Viele weiße US-Bürger finden ihn gut. Ob sie ihn wählen, ist fraglich, so Stephen H. Marshall.
taz: Herr Marshall, mit Barack Obama verbinden vor allem farbige US-Wähler viele Hoffnungen. Sind dabei auch Illusionen im Spiel?
Stephen H. Marshall: Ja, sicherlich. Was kann die afroamerikanische Community realistischerweise von einer sympathischen politischen Figur wie Obama in einem modernen Staat erwarten? Dass afroamerikanische Interessen ernst genommen werden. Mehr nicht. Diese Interessen werden dann zusammen mit vielen anderen Interessen verhandelt. Die farbigen Wähler haben im Großen und Ganzen verstanden, dass sie innerhalb einer breiten Koalition, die Obama wählt, Einfluss nehmen können. Dennoch stellen manche unrealistische Anforderungen, weil sie Obama für einen farbigen Führer halten.
Und wie groß ist die Gefahr, dass auch weiße Wähler Obama fälschlicherweise mit einem schwarzen Aktivisten verwechseln - und fürchten?
Das ist schwer zu prognostizieren. Jeder Afroamerikaner kennt das Bradley-Phänomen. Benannt nach dem demokratischen Bürgermeister von Los Angeles, Tom Bradley. Als er 1982 für den Gouverneursposten in Kalifornien kandidierte, lag er in den Umfragen klar vorn, weil die weißen Wähler angaben, auch für einen Schwarzen stimmen zu wollen. In der Wahlkabine aber entschieden sie sich doch gegen ihn. Es könnte auch für Obama einen Bradley-Effekt geben. In Betracht kommen dabei weniger loyale demokratische als unabhängige Wähler. Sie könnten am Ende doch noch kalte Füße kriegen.
Barack Obama macht seine Hautfarbe bislang ja konsequent nicht zum Thema - und ist damit der erfolgreichste schwarze Politiker der USA geworden. Heißt das umgekehrt, dass die schwarze Bürgerrechtsbewegung, die die Hautfarbe in allen politischen Zusammenhängen anführt, umdenken muss?
Obama sagt ja selbst, dass er als Kandidat nur ernst genommen wird, weil es die Bürgerrechtsbewegungen und die Kandidatur etwa von Jesse Jackson gab. Er stellt sich damit sehr klug als ein Resultat der Bürgerrechtsbewegung dar. Gleichzeitig fühlt er sich ihrem politischen Diskurs aber nicht verpflichtet.
Aber müssen schwarze Bürgerrechtler angesichts von Obamas Erfolg nicht ihre Strategien und ihre politischen Ziele neu definieren?
Doch, ja. Obama wird die Bewegung zwingen, genauer nachzudenken, welche Ziele eine fortschrittlichen schwarze Bewegung verfolgen soll. Und ob sie ihre sehr traditionelle Rhetorik nicht so verändern muss, um ihre Ziele einer breiten amerikanischen Öffentlichkeit nahezubringen und mehr als ein amerikanisches Problem wahrgenommen zu werden und nicht ausschließlich als ein schwarzes. Die Obama-Kandidatur zeigt, dass die soziale schwarze Bewegung nicht als eigenständige Bewegung fortbestehen kann, wenn sie sich gleichzeitig in den modernen Staat integriert.
Inwiefern?
Die Bürgerrechtsbewegung hat bereits begonnen, sich in diesen Staat zu integrieren. Zum Beispiel hat Bobby Rush, der früher Mitglied der Black-Panther-Bewegung war, für politische Ämter kandidiert. Wer Politiker ist, muss Kompromisse machen und das Machbare im Auge haben.
Was passiert, wenn Obamas Kandidatur scheitert? Wäre das gravierender als das Scheitern von Hillary Clinton?
Ich glaube ja. Wenn Obama scheitert, würde dies das unterschwellige Misstrauen verstärken, das viele Wähler hegen, die das politische System für korrupt und abgedichtet halten. Vor allem wenn Hillary Clinton am Ende nur mit der Hilfe des Parteiestablishments, nicht aber mit der Mehrheit der Stimmen gewänne. Dann würde flächendeckend der Eindruck entstehen, dass die politische Elite in diesem Land alles dominiert. Die Demokraten sind sich dieser Gefahr aber bewusst. Deswegen haben schon zahlreiche Superdelegierte erklärt, Obama zu unterstützen. Damit wird es für das Parteiestablishment schwieriger, gegen den Wählerwillen zu stimmen.
Gut, aber wäre es für die Frauen, die ihre Hoffnungen auf Hillary Clinton setzen, nicht auch frustrierend, wenn ihre Kandidatin unterliegt?
Clinton stellt sich selbst als hochkompetente, erfahrene Politikerin dar. Es gibt bestimmt echten Enthusiasmus unter Frauen für Clinton, aber ich sehe nicht, dass sie sich als soziale Bewegung definieren. Ich glaube, dass das Empfinden, verloren zu haben, bei Clintons Unterstützerinnen kleiner wäre als bei Obamas Anhängern. Obama müsste sich allerdings, um diese negative Dynamik aufzufangen, als Vizekandidaten eine Frau suchen. Das alles wird aber vom Ausgang des Parteikongresses im August abhängen.
Wie wird der republikanische weiße Herausforderer John McCain mit dem schwarzen Gegenspieler Barack Obama umgehen?
John McCain wird versuchen, sich als einen in Rassenfragen aufgeklärten Konservativen darzustellen. Er wird Fragen nach Rassenidentität und Herkunft vermeiden. Andere Akteure der Rechten werden sicherlich eine wesentlich provokativere Strategie wählen. McCain hat dann die Chance, sich von ihnen distanzieren zu können.
ADRIENNE WOLTERDORF
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