Afghanistans Präsident droht USA: Die Marionette will nicht mehr
Der afghanische Präsident droht mit Widerstand gegen eine Nato-Offensive. Der Westen wird sich an unfreundlichere Töne gewöhnen müssen.
Der afghanische Präsident Hamid Karsai setzt seine Konfrontationspolitik gegenüber den USA fort. Auf einem Treffen mit 1.500 Stammesältesten in der Taliban-Hochburg Kandahar drohte er am Sonntag, die geplante Nato-Operation gegen die Aufständischen in der Region zu blockieren, wenn die Bevölkerung diese nicht befürworte. Afghanistan werde erst dann zur Ruhe kommen, wenn die Bevölkerung daran glaube, dass ihr Präsident unabhängig sei und „keine Marionette“. Die Nato plant derzeit die größte Offensive gegen die Taliban seit Beginn des Krieges in Afghanistan vor acht Jahren.
Bereits vorige Woche hatte Karsai dem Westen und den Vereinten Nationen vorgeworfen, seine Regierung durch Korruptionsvorwürfe zu schwächen. „Sie wollen, dass das Parlament und ich als Präsident wirkungslos sind“, sagte er. Auf einem privaten Treffen mit Parlamentariern soll er laut dem Wall Street Journal sogar gesagt haben, er würde sich den Taliban anschließen, sollten die USA der Regierung in Kabul weiterhin vorschreiben, was sie zu tun habe. Diese Äußerungen dementierte ein Sprecher jedoch später. Am Montag war kein Vertreter seiner Regierung zu einer Stellungnahme bereit.
Anscheinend ist Karsai nicht bereit, die in den vergangenen Monaten immer schroffer gewordenen Korruptionsvorwürfe der USA länger hinzunehmen. Der der Volksgruppe der Paschtunen, die über einen ausgeprägten Ehrenkodex verfügt, angehörende Präsident muss offenbar seine Ehre wiederherstellen, um überhaupt noch politisch relevant zu bleiben. Zugleich ist er schon seit Längerem dabei, seine Machtbasis zu afghanisieren. Wenn der Abzug der ausländischen Truppen droht, bleibt Karsai nicht viel übrig, als darauf zu hoffen, die Aufständischen auf seine Seite bringen zu können. Denn besiegen kann er sie allein mit der Afghanischen Nationalarmee nicht.
In der bevorstehenden Großen Ratsversammlung will er die Taliban und den abtrünnigen Warlord Gulbuddin Hekmatjar in seine Regierung holen. Ein Abkommen mit Hekmatjar scheint in greifbarer Nähe. Wie die Taliban fordert dieser den Abzug der ausländischen Truppen.
Unter Afghanen verfehlte Karsais Rede ihre Wirkung nicht. Auf Internetseiten wie Facebook finden sich hunderte von Einträgen wie folgender von Abdullah Kausar: „Bravo, Herr Karsai. Wir sind stolz auf diese mutige Rede. Weiter so!“ Doch es gibt auch Stimmen, die darauf hinweisen, dass Afghanistan auf das Geld des Auslands angewiesen sei.
Ein Telefonanruf von Außenministerin Hillary Clinton am Freitag hat Karsai offenbar nicht von seiner neuen Linie abbringen können. Der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Robert Gibbs, nannte Karsais Äußerungen einen „Anlass zu echter Sorge“. Der Sprecher des Außenministeriums Robert Crowley hingegen tat sie als „angeberisch“ ab.
Die Afghanistanexpertin Martine van Bijlert vom unabhängigen „Afghan Analysts Network“ vermutet, dass Karsai vor allem auf das Parlament zielt, das in der vergangenen Woche ein neues Wahlgesetz verabschieden sollte, das es dem Präsidenten in Zukunft erlaubt hätte, alle Vertreter der „unabhängigen“ Wahlkommission selbst zu ernennen. Dabei haben die Vertreter der internationalen Gemeinschaft offenbar enorm Druck auf die Parlamentarier ausgeübt, das Gesetz abzulehnen. Mit Erfolg. „Diese Situation wird schwer zu entschärfen sein“, sagt van Biljert. Die internationale Gemeinschaft sei nicht in der Lage gewesen, den Wahlbetrug im vergangenen Jahr zu verhindern, und werde ihrerseits der Manipulation beschuldigt.
Das wird auch in den USA so gesehen. Alex Thier vom US Institute for Peace weist darauf hin, dass „Karsai der Präsident von Afghanistan ist - solange keine drastischeren Mittel angewandt werden“. Und die wären wohl unter der derzeitigen Strategie Washingtons, die auf einen mittelfristigen Truppenabzug aus Afghanistan zielt, noch schwerer durchzusetzen. Entweder müssten sich die USA stärker in Afghanistan einmischen - was sie nicht wollen. Oder sie müssten Karsai mit einem Truppenabzug drohen, um ihn zur Räson zu bringen - was sie nicht können.
Im Westen wird man sich daher wohl an unfreundlichere Töne aus Kabul gewöhnen müssen. Kurzfristig hat Deutschland davon zumindest profitiert. In der Aufregung um Karsais Rede ist der Tod von sechs afghanischen Soldaten durch „Friendly Fire“ der Bundeswehr in Kundus am Wochenende fast untergegangen. Leichter wird es dadurch auch für Deutschland nicht.
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