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Ärztin Petra de Jong über Selbsttötung"Für Menschen ohne Perspektive"

Soll es Sterbebegleiter oder eine Pille auch für gesunde Menschen geben, die ihr Leben als vollendet ansehen? Petra de Jong will die Diskussion darüber vorantreiben, auch um Missbrauch zu verhindern.

"Die Generation, die jetzt alt wird, ist geprägt durch die Haltung "Ich will es selbst regeln können." Bild: alexflint / photocase.com
Interview von Gunda Swantje

taz: Frau de Jong, was versteht Ihre Initiative unter einem "vollendeten Leben"?

Petra de Jong: Was jemand selbst als vollendet erfährt. Es bezieht sich auf ältere Menschen, ohne ein genaues Lebensalter zu nennen, die keine Perspektive mehr sehen. Sie können oft auf ein prächtiges Leben mit vielen schönen Momenten zurückblicken. Sie erleben aber beispielsweise, dass sie nicht mehr mit ihrem Vornamen angesprochen werden. Warum? Weil Partner, Freunde, Angehörigen gestorben sind. Sie sind übrig geblieben. Es gibt Ältere, die beispielsweise sagen: Ich kenne alle Seiten meiner Persönlichkeit. Ich habe alles von mir gesehen. Das Einzige, was ich als Zukunft habe, ist Verfall, Abhängigkeit, ist nicht mehr gut lesen, gut hören, mich nicht mehr gut bewegen können. Das wird als Last erfahren.

Ihre Initiative geht von Selbstbestimmung aus. Was ist, wenn Ältere sich möglicherweise als Belastung für die Gemeinschaft empfinden?

Bild: charlotte bogaert
Im Interview: 

Petra de Jong, 57, ist Fachärztin für Lungenkrankheiten. Sie war auch als Zweitärztin mit Fällen von Euthanasie und Hilfe zur Selbsttötung befasst. Seit August 2008 ist sie Direktorin der "Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende" (NVVE), die in Amsterdam ansässig ist.

Wenn jemand "anderen zur Last fallen" angibt, ist das kein gutes Argument. Sollte sich jemand so fühlen, muss man ihn überzeugen, dass er keine Last ist. Diese Person hat früher für andere gesorgt. Jetzt hat die Gesellschaft die Pflicht und den Willen, für sie zu sorgen.

Was soll nach Ihren Vorstellungen passieren, wenn jemand am Tag x sein Leben als vollendet ansieht und sterben will?

Bisher sehen wir drei Wege. Einer könnte sein, dass sich Ärzte des Problems "vollendetes Leben" annehmen. Es würde als "untragbares und aussichtsloses Leiden" klassifiziert, sodass im Rahmen des Gesetzes Euthanasie oder Hilfe bei der Selbsttötung erlaubt wären. Ein zweiter Weg wäre die Einführung sogenannter Sterbebegleiter. Dafür plädiert die Bürgerinitiative. Sie denkt an Helfer, die nicht Ärzte sind, sondern zugelassene Sterbebegleiter, die Regeln unterliegen, damit die Überprüfbarkeit und die Sorgfalt sichergestellt sind. Um dies zu realisieren, müsste man die Gesetzgebung ändern. Der dritte Weg wäre der autonome. Wer über 75 ist - oder welche Altersgrenze auch immer gelten würde -, könnte mithilfe einer sogenannten "Letzte-Wille-Pille" selber beschließen, wann er sterben will. Die Gesellschaft müsste dafür sorgen, dass kein Missbrauch geschieht. Die Lösungen sind noch nicht ausgearbeitet. Die Debatte soll auch dazu dienen, dies zu tun.

Seit letztem Herbst wurden im passwortgeschützten Bereich der NVVE-Website Tipps zur Selbsttötung veröffentlicht. Was erfahren die Nutzer, und wer hat Zugang?

Wir informieren unsere Mitglieder über Medikamente, die man braucht, um sein Leben zu beenden. In welcher Dosierung sie einzunehmen sind, in welcher Reihenfolge. Mit dem Beschaffen und Sammeln der Medizin ist man eine ganze Weile beschäftigt. Deshalb sind impulsive Handlungen ausgeschlossen. Ein Buch, das diese Informationen enthielt, ist vergriffen. Kürzlich erschien ein anderes Buch im Handel.

Hatte Ihre Veröffentlichung eine Steigerung der Mitgliederzahl zur Folge?

Ja. Und normalerweise haben wir pro Tag etwa 500 Besucher, im Augenblick sind es durchschnittlich 800. Auch wegen der Debatte über das "vollendete Leben".

Wie interpretieren Sie dieses Interesse?

Die Generation, die jetzt alt wird, ist geprägt durch die Haltung "Ich will es selbst regeln können. Ich möchte nicht von jemand anders abhängig sein, der für mich festlegt, ob ich oder ob ich nicht sterben darf." Diese Generation hat auf unsere Initiative gewartet.

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4 Kommentare

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  • WS
    wolfgang springer

    Ihren Kommentar hier eingeben

    seit jahrtausenden von Jahren töten Menschen aus Raffgier bis heute. Wer einmal eine Sterbebegleitung eines Schwerstkranken mitgemacht hat, oder selber unter einer schweren Krankheit mit Schmerzsyndromen leidet, der wird sich eine Sterbehilfe wünschen.

    Jemanden human würdig sterben zu lassen, ja das ist in der Tierwelt möglich, aber Menschen bleibt dieses Recht verwehrt. Hallo wo leben wir eigentlich?

    Frau de Jong lassen Sie sich auf Ihrem Weg nicht entmutigen, Sie legen einen Grundstein für die Zukunft, der längst überfällig ist.

    Vielen Dank für ihre Arbeit. w.springer

  • IN
    Ihr Name Helga

    Ich bin sehr erleichtert, dass diese Diskussion stattfindet. Und mehr noch: Die Perspektive auf eine realistische Möglichkeit, mein Leben selbstbestimmt beenden zu können durch ein Medikament, dass mir zusätzliches Leiden erspart ob mit oder ohne Begleitung reduziert bei mir gewaltige Ängste und Nöte durch fortschreitende Krankheit mir selbst und anderen Menschen, Ärzten und Pflegesystemen ausgeliefert zu sein.

     

    Es gibt Erkrankungen und innere Zustände, die sind die Hölle. Und wenn dann kein Medikament hilft, sondern eher noch verschlimmernd wirkt, Menschen in einer noch so liebevollen, hilfsbereiten Umgebung keinerlei Erleichterung bewirken können, dann wird die Sehnsucht nach Beendigung dieses Zustandes, nach Erlösung, immer größer und dringlicher.

     

    Dann selbst Hand anlegen zu müssen ist eine grausame Zumutung, die zumeist mit zusätzlichem Leiden verbunden oder aufgrund massiver Schwächezustände nicht möglich ist.

     

    Mir ginge es viel besser, wenn ich eine sichere Anlaufstelle hätte/wüßte, die mir zuverlässig die Hilfe anbieten würde, die ich im Bedarfsfall so ersehne.

     

    Helga

  • W
    Wolfgang

    Es ist gut das sich darüber Gedanken gemacht werden.

    Bin bald 85 Jahre, hatte vor 2 Jahren einen Schlaganfall. Bis dahin war ich reativ gesund. Nun war plötzlich alles anders,die Lebensqualität ist auf fast 90% eingeschränkt, Auto fahren aufgegeben, keine Spaziergänge, Fussgelenke kaputt, Sehkraft stark eingeschränkt, ständige Ohrgeräusche.

    Auf was soll ich noch warten, bis ich zum endgüldigen Pflegefall werde?

    Mein Wunsch ist nur, abends ins Bett zu gehen und nicht mehr aufzuwachen!

    Da wäre doch die Pille gut!

    Ich bin fest entschlossen mir das Leben zu nehmen.

    Hab Schlaftapletten gesammelt, doch keiner sagt mir wieviel ich brauche, um sicher zugehen, nicht mehr aufzuwachen. Vieleicht erbricht man sich auch, alles war umsonst, macht sich selbst zum Pflegefall.

    Warum muss man Tod gepflegt werden?

    Das war es was ich dazu zu sagen hätte.

    W.K.

  • T
    Thomas

    Eine interessante Debatte!

     

    Aber ich frage mich, wieso man so eine hohe Altersgrenze will. Warum zb. soll ein 25-jähriger Mensch oder ein 35-jähriger nicht das Recht haben, sterben zu dürfen (auf eine würdige Weise)? Warum sollte man da bis 75 oder 65 warten müssen? Und ist es nicht ein wenig krude, für das freiwillige Sterben eine Altersgrenze einzuführen? Bräuchte es nicht vielleicht stattdessen eher einen geeigneten Ort anstelle eines "geeigneten" Alters? Wie und wer entscheidet, ab wann und ob ein Suizidwunsch "zulässig" ist? Geht es nicht gerade darum, dies nicht mehr zu bevormunden? Wer wollte verantworten - und wer könnte es - , einen todunglücklichen oder mit dem Leben fertigen (glücklichen) 35-jährigen Menschen dazu zu zwingen, jetzt noch 30 Jahre warten zu müssen?

     

    Aber immerhin ein Schritt heraus aus einer Kultur, die den (Frei)Tod verachtet und nicht mehr weiß, was er ausser Unglück noch ist. Ein Philosoph sagte einmal vor knapp 30 Jahren: "ein so schlichtes Vergnügen". Wer den Tod würdigen kann, kann das Leben feiern. Wer den Tod fürchtet, wird sein Leben damit verschwenden, vor ihm zu flüchten.