Ärztechef will medizinische Leistung rationieren: Weniger Arzt fürs Geld
Umfassende Gesundheitsversorgung aller Patienten? Ist nicht mehr bezahlbar, meint Ärztepräsident Hoppe. Und fordert eine offene Diskussion über "Rationierung" von Leistungen.
BERLIN ap/rtr Die Ärzteschaft hat erstmals eingeräumt, dass nicht mehr alle Patienten eine umfassende Gesundheitsversorgung bekommen können. "Es ist inzwischen so, dass wegen der strikten Ausgabenbegrenzung nicht mehr alles für alle bezahlbar ist", sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, der Welt. "Das heißt, eine Form von Rationierung medizinischer Leistung ist unumgänglich."
Bestimmte Behandlungen sollten Patienten künftig selbst bezahlen, meinte Hoppe. Als Beispiel nannte er einige der von Krankenkassen bezahlten Kuren. Eine "heimliche Rationierung" gebe es schon lange, erklärte der Ärztepräsident. "Wir Ärzte haben sie bisher nicht akzeptiert und versucht, sie zu kompensieren. Inzwischen ist klar, dass es Rationierung in jedem Land der Welt gibt, eben auch in Deutschland."
Hoppe forderte, diese Entwicklung offen zu diskutieren. Er schlug einen neuen Gesundheitsrat vor, der Empfehlungen für die Prioritäten bei der medizinischen Versorgung geben soll. Mit dem Thema wird sich auch der am Dienstag in Ulm beginnende Deutsche Ärztetag befassen.
Die Bezahlung ärztlicher Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung sei "unterirdisch", beklagte Hoppe. Ein Drittel ihrer Leistungen bekämen die niedergelassenen Mediziner durch die Deckelung überhaupt nicht erstattet, "weil am Ende des Budgets noch zu viel Quartal übrigbleibt". "Die Bundesgesundheitsministerin hat zugesagt, dass mit der Honorarreform auch eine deutliche Erhöhung der Vergütung einhergeht. Das fordern wir nun ein."
Wenn Politik und Kassen die Ärzte abermals im Regen stehen ließen, werde es eine Massenflucht von Ärzten aus dem System geben, warnte Hoppe. Die Honorarreform wird derzeit verhandelt und soll mit dem Start des Gesundheitsfonds Anfang 2009 in Kraft treten. Ärzte sollen dadurch künftig im vorherein ersehen können, was sie für eine Leistung in Euro und Cent erhalten.
Hoppe forderte außerdem erneut, die gesetzliche Krankenversicherung von Lasten zu befreien, die ihr nicht zugeordnet werden können. Als Beispiel nannte er die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten. "Wenn man hier kräftig aufräumen würde, stünden pro Jahr mindestens vier Milliarden Euro mehr zur Verfügung", sagte Hoppe.
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