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Archiv-Artikel

Ärger für die Ostzonalen

Ist der Salzstock in Gorleben ein sicheres Atommüll-Endlager? Während die Politik streitet, lohnt ein Blick in die Geschichte: Wie Ex-Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) einst Gorleben auswählte

VON KAI SCHÖNEBERG

Es ging um zwölf Milliarden Mark – diese Investition wollte Ernst Albrecht natürlich nach Niedersachsen holen. Wählte der frisch ins Amt gehievte CDU-Regierungschef das Elbedorf Gorleben als Standort für das einst geplante „Nukleare Entsorgungszentrum“ (NEZ) also nur aus wirtschaftlichen Gründen? Oder auch deshalb, weil der Kern des NEZ, ein Endlager im Salzstock an der damaligen Zonengrenze, tatsächlich für die Lagerung stark wärmeentwickelnder Atomabfälle geeignet ist? Wenn an diesem Wochenende erneut Tausende gegen den Castor-Transport ins Zwischenlager wenige hundert Meter entfernt vom Salzstock auf die Straße ziehen, geht es im Kern immer noch um die Frage: Ist Gorleben sicher?

Alle Studien bewiesen die Eignung des Erkundungsbergwerks mit seinen zwei bis zu 940 Meter tiefen Schächten, sagen CDU und FDP in Bund und Ländern und fordern ein Ende des Erkundungsmoratoriums. 1,4 Milliarden Euro seien schon versenkt worden. Geht hier Wirtschaftlichkeit vor Sicherheit, fragen Atomkritiker – und fordern das Gegenteil. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sagt, der Salzstock im Wendland sei ohne Kriterien und ohne vorherige Festlegung von Sicherheitsstandards gewählt worden. Deshalb fehle heute die Akzeptanz, deshalb die Proteste.

„Es war ein fachlich begründeter Entscheidungsablauf mit politischen Implikationen“, sagt Anselm Tiggemann. Der Historiker hat ein 900 Seiten starkes Buch über die Endlagersuche geschrieben. Das war ein Puzzlespiel, oft wurde ihm die Akteneinsicht verweigert. „Eins ist sicher“, sagt Tiggemann, „an Transparenz hat es damals stark gefehlt.“

Nachdem der Bund 1975 drei Salzstöcke für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ vorgeschlagen hatte, kochte vor Ort der Protest. Alle drei lagen in Niedersachsen: im Emsland, bei Celle und bei Nienburg. Albrecht klagte über „bürgerkriegsähnliche Zustände“. Um das damals größte Industrieprojekt der Bundesrepublik – Teil des gigantischen Entsorgungszentrums war ursprünglich auch eine Wiederaufarbeitungsanlage – doch noch an Land zu ziehen, brachte er plötzlich in einer von ihm eingesetzten Kommission einen vierten Salzstock ins Spiel.

„Das ist jetzt noch nicht eine geologische Frage, das ist eine politische Frage. Ich möchte einen Salzstock, der möglichst dicht an der Zonengrenze liegt“, sagte Albrecht laut dem damaligen Kommissionsmitglied Gerd Lüttig. „In der Art eines Kneipengesprächs“ habe der Regierungschef damals mit seinem Nachbarn, einem pensionierten Bergwerksdirektor, den Standort im Wendland ausgekungelt. Geologische Expertise – Fehlanzeige. So sagte es Lüttig einst in einem Interview. Albrecht habe ein Gegengewicht zum schon damals bedrohten DDR-Endlager Morsleben gesucht: „Wenn das mal absäuft, haben wir im Helmstedter Raum die verseuchten Häuser. Ich möchte die Ostzonalen mal richtig ärgern, nehmen wir Gorleben als Gegengewicht. Mal sehen, was rauskommt.“ Im Februar 1977 benannte Albrecht dann zur Überraschung Vieler Gorleben als Standort.

„Da steht Aussage gegen Aussage“, sagt Tiggemann, der später bei Albrecht und Lüttig, heute betagte Pensionäre, noch mal nachhakte. „Mir gegenüber hat Albrecht auf die Strukturschwäche der Region und auf die Akzeptanz in der Kommunalpolitik hingewiesen“, erzählt der Geschichtswissenschaftler.

Um Gorleben durchzupeitschen, setzte sich der CDU-Mann sogar über Bedenken des damaligen Kanzlers hinweg. Helmut Schmidt (SPD) fürchtete innerdeutsche Spannungen, sogar, dass sich der Ostblock eines Tages „dieser neuartigen Anlage, wenige Meter vom eisernen Vorhang entfernt, handstreichartig bemächtigen könnte“, sagt Tiggemann. Auch ein Kalkül: In der stramm konservativen Region würde es kaum Proteste geben. Noch eine Fehlkalkulation, aus der Albrecht aber seine Konsequenzen zog: Nach Gorleben-Treck und Gorleben-Hearing strich der Ministerpräsident 1979 die Wiederaufarbeitungsanlage aus dem Entsorgungs-Paket.

Die geologische Eignung des designierten Endlagers wurde erst nach seiner Kür geprüft: „Man wusste damals nur, dass der Salzstock ein bisschen abgleitet, erst Anfang der 80er Jahre wurde kartiert“, sagt Tiggemann.

Als das inzwischen „weltweit am besten untersuchten Standort für ein Endlager radioaktiver Abfälle“ bezeichnete dagegen eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in dieser Woche den Standort Gorleben – und wurde prompt von Atomkritikern als „unseriös“ gegeißelt. „Es gibt doch noch gar keine endgültigen Kriterien für ein sicheres Endlager – hat die BGR sich diese jetzt gebastelt?“, fragt Stefan Wenzel, Grünen-Fraktionschef in Niedersachsen. Eine endgültige Erkundung des Salzstocks werde mindestens noch zehn Jahre dauern.