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■ Ägyptische Mumie in Madrid entdecktFrl. Isis aus der Aula

Madrid (taz) – Manche brauchen eben etwas länger, dachte sich Isis. Die staubige Dame aus dem Morgenland verpaßte in den vergangenen 111 Jahren keinen einzigen Vorlesungstag an der medizinischen Fakultät der Universität Complutense zu Madrid. Das dürfte wohl die Rekordstudiendauer aller Zeiten sein. Selbst in den Ferien wollte die Gewickelte sich nicht von ihrem gemütlichen Studienplätzchen direkt hinter der Wandtafel des Hörsaals trennen.

Professor Esteban Llagostera setzte dem Treiben der Langzeitstudentin jetzt ein Ende. Es half alles nichts, trotz einflußreichem Vater – oder gerade seinetwegen – wurde Isis der Aula verwiesen. Ihr neuer Aufenthaltsort: das Labor von Llagostera, Ägyptologe.

19 Jahre sei er hinter der ewigen Studentin hergewesen, verkündet der Professor, der sich aber mit eher väterlich fürsorglichem Blick neben Isis ablichten läßt. Bei ihr handele es sich um niemand Geringeren als um die 14jährige Tochter des ägyptischen Königs Ramses II., der von 1290 bis 1224 vor Christi über das Nildelta herrschte. Ihr Allgemeinzustand sei „außerordentlich gut“, das Dunkel im Versteck hinter der Wandtafel habe ihr sichtlich wohl getan.

Als Laie ist der Überschwang kaum nachzuvollziehen. Isis wirkt arg zerfleddert, das Gesicht eingefallen, Haut und Fingernägel schwarz unterlaufen, überall hängen Stoffetzen vom abgemagerten Körper herab.

Man sei halt übel mit ihr umgesprungen, so Llagosteras Entschuldigung. Isis, eine der angeblich 200 Söhne und Töchter von Ramses II., kam 1884 in Begleitung des damaligen spanischen Konsuls Eduardo Toda i Guell aus Ägypten nach Madrid. Freiwillig, meinen die einen, vom üblichen imperialistischen Antiquitätenraub sprechen andere. Prompt erhielt ihre Hoheit eine Einladung zur Einweihung des damals neuen Hörsaales in der Uniklinik San Carlos. Und da sei es dann geschehen, berichtet der Ägyptologe Llagostera sichtlich entsetzt: Die Meute der Studierenden habe sich über das letzte Kleid von Isis hergemacht und ihr den kunstvoll geschlungenen Bindenkokon stückchenweise als Souvenir von der Haut geschnitten.

Llagostera kam Isis erst im Jahre 1976 auf die Spur, als er einige ihrer weitläufigen Verwandten im Ägyptologischen Museum Madrids untersuchte. Dort fand er eine Karteikarte von Isis mit dem handschriftlichen Zusatz „San Carlos“. Nach jener – einer Königstochter unwürdigen – Hörsaaleinweihung, sei Isis wohl in Vergessenheit geraten, meint der Mumienforscher. Die Familienzusammenführung im Museum blieb aus.

1951 zog der universitäre Medizinernachwuchs dann in ein neues Gebäude um. Die einsame Isis wurde mitgenommen. Schauerlich sah es in ihrer neuen Grabstätte aus. Die Wände ringsum ziert das Anschauungsmaterial für die Vorlesungen: verschiedene Totenschädel, in Spiritus gelegte Embryonen und Körperteile. Auch mit einem eingetrockneten Penis wurde die eingetrocknete Prinzessin konfrontiert. Eines Tages wird Fräulein Isis dem Prof dankbar dafür sein, sie von dem scheußlichen Ort weggeführt zu haben.

Und wenn Isis einmal sämtliche Untersuchungen des Ägyptologen hinter sich gebracht hat, wird sie in ihrer Mumienfamilie im Museum die verdiente, hoffentlich ewige Ruhe finden. Die hat sie immerhin 3.000 Jahre nach ihrem Tod – „wegen einer Tuberkuloseinfektion am linken Knie“ (Llagostera) – zweifellos verdient. Von den Vorlesungen in der medizinischen Fakultät dürfte sie ohnehin nicht viel mitbekommen haben: Die alten Ägypter entnahmen ihren Mumien das Gehirn traditionellerweise mit speziellen Haken durch die Nasenlöcher. Reiner Wandler

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